Kompakt und gut lesbar: „Das Wunder von Gorleben“
bv Lüchow-Dannenberg. Was wäre geschehen, wenn Ende der 1970er-Jahre die WAA in Gorleben trotz des Widerstands in der Region dennoch gebaut worden wäre? Mit dieser fiktiven Frage steigt Wolfgang Ehmke in sein neues Buch, „Das Wunder von Gorleben“ ein. Denn letztlich ist es ein Wunder – nichts weniger haben 40 Jahre Widerstand in der Region erreicht, so die These des Atomkraftgegners der ersten Stunde. Was wäre also passiert? Deutschland wäre wie Frankreich Nuklearland geworden. Hätte man sich dann vorstellen können, dass Jahrzehnte später, nach der Katastrophe von Fukushima, der Atomausstieg energiepolitisch möglich gewesen wäre?
Wolfgang Ehmke, worum geht es Ihnen? „Ich beleuchte den Beitrag des Wendlands zur Energiewende und die besondere Rolle von Gorleben in der Auseinandersetzung um die Atomkraft. Das Buch erzählt nicht zum x-ten Mal die Widerstandsgeschichte. Vielmehr geht es um die Entscheidung für Gorleben als Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) 1977 mit dem Kernstück Wiederaufarbeitung. Denn 1977 entschied das Verwaltungsgericht Schleswig, dass mit dem Bau des AKW Brokdorf auch der Nachweis einer nuklearen ,Entsorgung‘ geklärt werden müsse. Deshalb der unglaubliche Druck des politischen Bonns auf Niedersachsen, einen Standort für das NEZ auszuweisen. Zugleich verweist das Herzstück, die WAA, auf den Beginn der atomaren Umrüstung der Energiewirtschaft in Westdeutschland: Es ging immer auch um den Bombenstoff Plutonium.“
Und dann wird es laut Ehmke wild: „Das Zögern von Ministerpräsident Ernst Albrecht, der die WAA später nicht mehr gegen die aufrührerische Bevölkerung durchsetzen wollte, hat am Ende dazu geführt, dass in Deutschland gar keine WAA gebaut wurde und der Plutoniumpfad aufgegeben wurde!“
Das alles erzählt der Autor als eine Geschichte von Glücks-, Unglücks- und Zufällen. „Das Atomprogramm geriet ins Stocken. Meine These: Wäre eine WAA mit einem Jahresdurchsatz von 1400 Tonnen Brennstoff damals gebaut worden, wäre Deutschland mit 50 Atomkraftwerken Nuklearmacht Nummer zwei in Europa geworden.“
Auch geht es um Brückenbauer der Anti-Atom-Bewegungen, so Ehmke, wie Robert Jungk, der in Kontakt mit Marianne Fritzen stand und auf Kundgebungen in Gorleben sprach, oder das Ehepaar Tempel, das die Kurve Wustrow begründete.
Die Grenzlage des Wendlands spielte laut Ehmke „eine wichtige Rolle bei der Wahl Gorlebens: leicht absperrbar. Auch das kehrt sich in einen Vorteil: Die ersten Anti-AKW-Proteste auf DDR-Boden gingen vom Gorleben-Widerstand aus.“ Apropos Wunder: Als 2020 bei der Endlagersuche Gorleben rausflog, war das für viele ein Wunder – nicht für Ehmke, er hatte immer darauf hingearbeitet. Der Beitrag Gorlebens zur Energiewende sei „beträchtlich, denn die Atombewegten hatten immer den massiven Ausbau“ der Regenerativen gefordert. „Dass das Land nicht flächendeckend von 50 Atomkraftwerken überzogen wurde, gab erst den Raum für die Energiepioniere im Wendland“, folgert Ehmke, der sein Buch als Sach- und Nachlesebuch mit Ausblick auf die kommenden Monate und Jahre versteht. Der flüssige Stil soll einladen, dass die Gorleben- und Anti-Atom-Geschichte einen größeren Kreis erreicht, denn „was zivilgesellschaftlicher Widerstand erreichen kann, macht Mut, wenn es um das große Thema Klimakatastrophe und -gerechtigkeit geht“.
„Ehmke hat ein sorgfältig recherchiertes und lesbar gestaltetes Kompendium geschaffen, auf das viele Menschen zurückgreifen werden, wenn sie sich über Gorleben informieren wollen“, lobt Literaturkritiker Axel Kahrs. „Das Wunder von Gorleben“ ist in Buchhandlungen und bei der Elbe-Jeetzel-Zeitung für 9,80 Euro erhältlich.