„Ich bin für gute Laune zuständig“

Chefin Lea-Marike Hoene lernt Tischlerin – mit 39 Jahren

bv Grabow. Es sei durchaus schon zu lustigen Begebenheiten gekommen, berichtet Lea-Marike Hoene, Chefin des Möbelhauses und der Tischlerei Wolfrath in Grabow. Denn der zierlichen 39-Jährigen, 1,60 Meter großen und 55 Kilogramm leichten Frau traut nicht jeder zu, dass sie den Beruf der Tischlerin erlernt. Da sie doch die Chefin sei. Doch genau dies tut die studierte Ökonomin gerade: Sie drückt wieder die Schulbank und macht eine Ausbildung zur Tischlerin – mit Berufsschule und Praxisanteil im eigenen Betrieb. Denn Lea-Marike Hoene möchte am eigenen Leib erfahren, was es heißt, den körperlich anstrengenden Beruf zu ergreifen. „Jemand, der schon mal ein fünf Meter langes Sechzehner-Kantholz getragen hat, weiß vielleicht, was ich meine“, berichtet die Mutter zweier Kinder. Oder jemand, der versucht hat, ein dreifach verglastes Fenster, über 80 Kilo schwer, anzuheben und einzubauen.

Von den körperlichen Herausforderungen abgesehen, war es Hoene wichtig, zu sehen, was der Beruf an gesellschaftlichen Anforderungen mit sich bringt. Denn als Chefin habe sie kein Problem, Auszubildende zu finden. „Davon gibt es genug, denn der Beruf trägt vermeintlich zur Selbstverwirklichung bei. Viele haben eine romantische Vorstellung von dem Beruf, die sie dann schnell wieder verlieren“. Ein Problem sei vielmehr, dass die Auszubildenden keine Lust hätten, länger in dem Beruf zu arbeiten.

„Für anspruchsvolle Arbeiten aber brauchen wir das Know-how von Altgesellen – Menschen, die den Beruf schon 20 Jahre oder länger ausführen“, erklärt Hoene. „Heutzutage ist es so, dass viele Berufsanfänger einige Jahre als Tischler arbeiten, dann aber etwas anderes beginnen. Ich wollte wissen: Warum ist das so? Und was können wir dagegen tun?“

Als Beispiel führt sie die Ausstattung einer großen Bibliothek an, wo ihre Mitarbeiter neben den Vitrinen auch eine riesige Freitreppe mit mehreren Podesten und verschiedensten Winkeln bauen mussten: „Ein Geselle mit fünf Praxisjahren bekommt das noch nicht hin“. Es dauere sehr lange, bis man die Exzellenz erreiche, die für solche Aufgaben benötigt würden. Dass solle aber niemanden abschrecken. Sie wünsche sich trotz der körperlichen Herausforderungen mehr Frauen in dem Beruf. „Es gibt ja schließlich Hilfsmittel, um schwere Dinge zu bewegen“. Bei Wolfrath sei nur eine Tischlerin pro Azubi-Jahrgang zu finden.

Zwei wichtige Erfahrungen habe sie bisher gemacht: Die Beziehungen zu den Kollegen sei das grundsätzlich Wichtigste. „Die Arbeit flutscht, wenn man sich vertraut und gerne zusammen arbeitet.“ Auch gehe es um Wertschätzung der Arbeit durch die Vorgesetzten. „Ich konnte nicht einschätzen, was die Mitarbeiter alles leisten: lackieren, schleifen, eigene Möbel bauen, Fenster und Treppen herstellen, zum Kunden bringen und dort montieren.“

Ein Problem sei aber das maskuline Selbstverständnis vieler männlicher Kollegen. „Der Unterschied: Ich bin für gute Laune zuständig.“ In vielen Betrieben und an der Berufsschule habe sie erlebt, dass Kollegen sich muffelig und hart gäben, rauchten und sich schlecht ernährten. „Da hat man das Gefühl, in den 1980er-Jahren stehengeblieben zu sein. Warum hat die Gleichberechtigung da aufgehört?“ In Schweden, so ein Positivbeispiel, sei es ganz anders: „Da macht man keinen Unterschied: 50 Prozent der Tischler sind weiblich.“

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