Eine Legende – nacherzählt von Undine Stiwich
lk Regional. Es war am Morgen des 24. Dezembers eines längst vergangenen Jahres. So richtige Weihnachtsstimmung hatte sich bisher nicht eingestellt. Das erste Mal mussten die Frau des Bauern Krischan, dessen Mutter, sein Sohn, seine Tochter sowie die Magd und der Knecht Weihnachten ohne den Hausherrn feiern. Der Bauer war vor einem Jahr aus heiterem Himmel tot umgefallen. Das erste Weihnachtsfest nach seinem Tod konnte eigentlich nur traurig werden.
Minna, die Magd, schlich mit trüben Gedanken durchs Haus, Martin, der Knecht, holte mit traurigem Gesicht den Weihnachtsbaum herein. Bunte Blumen aus Papier, Weihnachtsengel aus Stanniol gefaltet, gold und silber angemalte Tannenzapfen, Nüsse und Schokoladenriegel lagen bereit, um die Tanne zu schmücken. Doch keiner wagte sich an den Baum. Immer hatte sich diese Aufgabe Bauer Krischan vorbehalten. „Schmücken können wir ihn auch noch nach dem Gottesdienst“, meinte die Mutter nach einiger Zeit, „lasst uns erst mal in die Kirche gehen, dann sehen wir weiter.“
Alle zogen sich warm an, denn draußen war es bitterkalt geworden. Ein eisiger Wind wehte aus Osten und die Kälte kroch schon langsam durch die Kleidung, als die Mutter, Großmutter, die Kinder, Minna und Martin die Kirche erreichten. Der Pastor hielt eine sehr feierliche Predigt. Er erzählte von der Adventszeit, in der es mit jeder angezündeten Kerze heller wird, und vom Weihnachtsbaum, an dem schließlich die Lichter brennen und sich die Dunkelheit verbannen lässt. Mit dem Lied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ schloss der Pastor den Gottesdienst.
Auf dem Weg nach Hause fiel kein Wort. Alle hingen ihren Gedanken an Bauer Krischan nach, wie er liebevoll den Baum schmückte und mit tiefer Stimme das eine oder andere Weihnachtslied vor sich hin summte. Nichts würde mehr so sein, wie es einmal war. Als sie die Tür öffneten, sich aus den Mänteln geschält hatten und in die gute Stube gingen, staunten sie nicht schlecht.
Vor ihnen stand ein geschmückter Weihnachtsbaum, so schön, wie es nur Bauer Krischan konnte. Die Kerzen brannten, es roch nach Äpfeln und Mandeln. Keiner wusste zu erklären, wer in der Zwischenzeit den Baum geschmückt haben konnte. Und doch gingen alle insgeheim davon aus, dass der tote Bauer Krischan irgendwie seine Hand im Spiel gehabt haben musste.
Auf jeden Fall hatte jeder das Gefühl, dass er unter ihnen war. Es wurde noch ein schönes, unvergessenes Weihnachtsfest.