Nerue Mini-Serie Teil 1: Niedersachsens Gründung vor 75 Jahren – Zeitzeugen erzählen
duh Lüchow. Das, was wir heute als das Land Niedersachsen kennen, waren bis Kriegsende vier eigenständige Länder: Braunschweig, Hannover, Schaumburg-Lippe und Oldenburg. Nach dem Krieg wurde der gesamte Nordwesten Deutschlands, und damit auch der Landkreis Lüchow-Dannenberg, unter britische Militärverwaltung gestellt.
Die Briten beschlossen, aus den bisherigen vier Ländern ein großes Land zu machen: das Land Niedersachsen. Der Landkreis Lüchow-Dannenberg gehörte vor dem Krieg zum Land Hannover und stand damit unter britischer Besatzung.
Aus diesem Grund fragte der Kiebitz bei Zeitzeugen nach – wie war das damals? An was erinnern Sie sich aus der Gründungszeit unseres Bundeslandes? Im ersten Teil unserer dreiteiligen Serie beginnen wir heute mit den Alltagsgeschichten – wie war das mit der Ernährung in den ersten Nachkriegsjahren 1945/46?
„Die Bäckerstocher war meine Freundin, da haben wir immer Brot gekriegt, und dann hatten wir auch Bekannte auf dem Lande, wo wir uns Milch, Kartoffeln und anderes besorgen konnten.“ Eine der Erinnerungen von Horst Boje, wenn er an den Spätsommer 1946 denkt. Es war eine Zeit, in der die Menschen landauf, landab damit beschäftigt waren, ihren Alltag zu organisieren, wieder aufzubauen – einfach wieder ein Stück Normalität zu erreichen. Es fehlte an allem: Lebensmitteln und Kleidung, Rohstoffe. Infrastrukturen waren zerstört, Zuständigkeiten wurden erst wieder aufgebaut. Es gab nichts oder wenig zu essen, Heizmaterial war knapp und der Schwarzmarkt florierte. Auf dem Land hatten die Menschen schon immer ihre Gärten und Ackerflächen, auf denen sie Früchte anbauten, sie hatten ihre Nutztiere. Es gab eine funktionierende Sozialstruktur und sie konnten sich, ähnlich wie Familie Boje, einigermaßen behelfen, um über die Runden zu kommen. Alles konzentrierte sich auf das Bewältigen des Alltags und die Versorgung ihrer Familien. Dazu gehörte auch, dass man den Besatzern half, ihren Alltag zu regeln. Wenn sich Liselotte Stützer die damalige Zeit in Erinnerung ruft, fällt ihr wieder ein, „dass meine Mutter und auch andere Frauen, dass sie für sie – die Besatzer – gewaschen haben und dafür eben Naturalien bekamen“.
Der Hunger war groß und die Not der Menschen, gerade in den immer kälter werdenden Herbsttagen, trieb manchen zu Handlungen, die sie zu normalen Zeiten wahrscheinlich nicht getan hätten: Mundraub. Die Bauern hatten im Herbst ihre Ernte eingefahren. Ihre Kartoffeln hatten sie in Mieten auf den Feldern eingelagert und mit Erde abgedeckt. Heinrich Schulz aus Blütlingen weiß noch, dass „wir unsere Kartoffelmieten hinter dem Hof hatten. Dann war auf einmal so ein schönes kleines Loch drin – und da hatten sie geklaut.“ Butter und richtiges Öl waren eine Rarität. Was Horst Boje bis heute nicht vergessen hat, ist, „wir haben Bratkartoffeln mit Kaffee gebraten, damit überhaupt was Feuchtes in der Pfanne war“. Generell hatten Lebensmittel „einen ganz hohen Stellenwert. Eines der unter den Blütlinger Kindern sehr beliebten Spiele imDorf war Verstecken. Aber wehe, die Kinder liefen dabei ins Getreide. Dann war wahrlich was los – und sie wurden gehörig zusammengestaucht.“ Bei allem, was an Arbeit anfiel, mussten die Kinder mithelfen, erinnert sich Boje. „Sie haben nach der Schule und, wann immer freie Zeit war, gepflügt, gemäht und alles, was notwendig war, getan, damit geerntet werden konnte. Im Sommer haben sie Ähren gesammelt oder später die Kartoffelkäfer abgesucht.“