bv Satemin. Vor kurzem erschien der sechste Wendland-Krimi von Rolf Dieckmann, einem Autor, der viele Jahre für Zeitungen und Magazine gearbeitet hat, die längste Zeit für den stern. Sein erzählerisches Debüt lieferte Dieckmann mit zwei Romanen aus der Toskana. Alle sechs Krimis, die bei Ellert & Richter erschienen sind, spielen im Wendland mit seiner geheimnisvollen Landschaft, den ungewöhnlichen Dörfern und mit Typen, wie man sie nur zwischen Lüchow und Dannenberg trifft.
Dieckmann selbst wohnt in Satemin, wo sein altes Bauernhaus im Laufe der Zeit immer mehr zum Lebensmittelpunkt geworden ist. Im jüngsten Fall des Ermittlers Erik Corvin geht es um Hexen. Als der Hamburger Ex-Polizist und Rockgitarrist mit seiner Band für einen „Tanz in den Mai“ gebucht wird, glaubt er noch an ein Partyevent, wie es davon viele in dieser Nacht gibt. Doch in Polkwitz, einem vergessenen Dorf an der Ostgrenze des Wendlands, ist alles ein bisschen anders. Denn hier feiert man die Walpurgisnacht. Eine Nacht, in der die Hexen ekstatisch ums Feuer tanzen und verzückt auf das Erscheinen des Teufels warten. Was er zuerst für Hokuspokus hält, entpuppt sich bald als blutiger Ernst. Er muss feststellen, dass die Mischung aus Aberglauben, Esoterik und schwarzer Magie in allen Bevölkerungsschichten unauslöschlich vorhanden ist. Dass es gute und böse Hexen gibt, die sich äußerlich nicht voneinander unterscheiden. Und dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Björn Vogt hat Rolf Dieckmann gefragt, wie er das Wendland als Spielort für seine Krimis entdeckte.
Seit wann leben Sie im Wendland? Wie kam es dazu?
Das ist jetzt mehr als dreißig Jahre her. Ich spielte damals den Bass in einer Amateur-Rockband und wir waren auf der Suche nach einem Haus auf dem Lande, wo wir am Wochenende mal die Verstärker auf Anschlag drehen konnten, ohne dass die Nachbarn gleich die 110 wählten. Das hörte eine Kollegin aus der stern-Redaktion, die dort ein altes Bauernhaus als Wochenenddomizil besaß, aber selten Gebrauch davon machte. So kamen wir nach Weitsche. Ich war von Anfang an begeistert von diesen malerischen Dörfern im Wendland. Jahre später hatten wir dann einen eigenen Proberaum in Hamburg und fuhren nicht mehr dorthin. Doch der Besitzer des Hauses, zu dem ich immer noch Kontakt hatte, bot mir und meiner Frau das Haus zur Miete an. Ein Wochenendhaus im Wendland? Ich war Feuer und Flamme.
War sie auch so begeistert?
Zuerst überhaupt nicht. Irmgard war damals auch stern-Autorin und jettete lieber nach Paris, London und New York, statt mit mir am Wochenende aufs Land zu fahren. Aber als ich sie das erste Mal ins Wendland entführt habe, war sie auf einen Schlag hin und weg. Sie hat dann auch ein Buch mit dem beziehungsreichen Titel „Schöner Mist“ geschrieben, eine Liebeserklärung an diesen Landstrich. Ein paar Jahre später kauften wir uns ein eigenes Haus, brachen schließlich unsere Zelte in Hamburg ab und sind seit fast sieben Jahren Vollzeit-Wendländer.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Krimis zu schreiben?
Es war eigentlich nie meine Absicht, einen Krimi zu schreiben. Schon gar keinen regionalen. Ich hatte mich inzwischen selbstständig gemacht und neben meiner journalistischen Arbeit auch angefangen, Romane zu schreiben. Die ersten beiden spielten in der Toskana und waren mehr Polit-Thriller so im Stil von Robert Harris oder David Baldacci. Eine frühere Nachbarin, die beide gelesen hatte, bemängelte über den Gartenzaun, dass es hier doch auch wunderschön sei und warum ich denn nicht mal etwas schriebe, was im Wendland spielt. Tatsächlich trug ich da so eine Idee mit mir rum.
Aber Sie wollten doch keinen Regionalkrimi schreiben?
Das war auch gar nicht als Krimi gedacht, eher als Satire. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich die Wolfsdebatte in vollem Gange. Und die wurde höchst emotional geführt. Es sollte eine Geschichte werden, in der sich alles um den Wolf drehte, aber in der kein Wolf vorkam. Den Titel hatte ich auch schon im Kopf und der hieß: „Es sind Wölfe im Wald“. So eher als Mutmaßung. Die Chance einem Wolf in freier Wildbahn zu begegnen, ist nämlich ziemlich gering. Ich fand dann auch mit Ellert & Richter in Hamburg einen Verlag und der hatte gewisse Wünsche an die Story. Das war 2018. Und so ist dann nach und nach doch noch ein Krimi daraus geworden. Allerdings wollte ich das bei einem belassen.
Und warum haben Sie dennoch weitergemacht?
Zu meiner Überraschung hatte ich eine sehr gute Presse. Auch außerhalb des Wendlands. Und als der Titel fünf Monate auf der Bestsellerliste des Börsenblattes des Deutschen Buchhandels, Sparte Independent, stand, kamen mein Verleger und ich überein, dass da sofort ein zweiter folgen sollte, denn eine Wendlandkrimireihe gab es 2019 weit und breit nicht. Und nun ist schon die sechste Folge erschienen. Jedes Jahr eine.
Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?
Das ist schwer zu beantworten. Manchmal ist es eine Zeitungsmeldung, ein Gespräch in der Kneipe oder ein Ereignis in den eigenen vier Wänden, das etwas auslöst. Mein Konzept ist, dass ich keins habe. Ich weiß die Ausgangssituation und weiß ungefähr, wohin die Reise gehen soll. Die eigentliche Geschichte ergibt sich beim Schreiben. Manchmal bin ich selbst überrascht, welche Wendungen sich ergeben und welche Personen da plötzlich auftauchen, von denen ich am Anfang keine Ahnung hatte. Allerdings habe ich mir selbst einen Schwierigkeitsgrad eingebaut, der die Sache nicht einfacher macht.
Und der wäre?
Die meisten Krimis gehen ja so: Irgendjemand wird umgebracht, dann erscheint ein schlecht gelaunter Kommissar, der sich gerade das Rauchen abgewöhnt und ermittelt, wer das getan hat. Sowas wollte ich nicht. Darum habe ich meinen Helden, den Hamburger Ex-Kommissar Erik Corvin, gleich in der Mitte des ersten Bandes den Dienst quittieren lassen, nachdem er einen Lokalpolitiker geohrfeigt hat. Der geborene Wendländer macht eine überraschende Erbschaft, besitzt plötzlich einen Hof, verfügt über ausreichend Geld und will mit Verbrechen nichts mehr zu tun haben. Doch manchmal tauchen Mitmenschen auf, die ihn inbrünstig um Hilfe bitten. Und die sind meist weiblichen Geschlechts oder ziemlich gute Freunde. Personen eben, denen er keinen Korb geben kann und manchmal auch nicht will. Also müssen das immer Fälle sein, von denen die Polizei nichts weiß oder wissen soll. Der Hilfesuchende kein Interesse hat, dass die Polizei eingeschaltet wird oder man gar nicht weiß, ob da überhaupt ein Verbrechen geschehen ist. Das muss man als Autor durchhalten.
Wieviel von Erik Corvin steckt in Ihnen, beziehungsweise umgekehrt?
Ach, ich glaube, jeder Autor verewigt sich in einer oder mehreren Figuren seines Romans. Wenn Charles Bukowski über philosophierende Alkoholiker geschrieben hat oder Martin Suter über Männer, die niemals ohne Krawatte am Frühstückstisch erscheinen, kann man sich unschwer vorstellen, wer hier zum Vorbild gedient hat. Corvin schwankt ja auch zwischen Rüpel und Sensibelchen, zwischen Introvertiertem und Choleriker und steht sich mit seinen Zweifeln manchmal selbst im Wege. Eine gewisse Ähnlichkeit kann ich nicht abstreiten.
Wieviel von Ihrem Leben reflektieren Sie in den Krimis?
Ähnlich wie bei den Charakteren. Man greift ja immer wieder auf das zurück, was man selbst schon erlebt hat. Ich habe sowohl im Norden als auch im Süden dieses schönen Landes gelebt, war Journalist bei Fachzeitschrift, Tageszeitung und Magazin. Galerist, Filmproduzent, Drehbuchautor und Musiker. Da erlebt man schon eine ganze Menge, was man später in seine Geschichten einfließen lassen kann.
Auch aus dem Leben anderer?
Aber natürlich. Und da ist das Wendland doch ein genialer Ort. Mit ein Grund, weshalb ich den Landstrich so liebe. Nirgendwo triffst du so viele Menschen mit so unterschiedlichen Lebensentwürfen und Erfahrungen. Da lebt der durchgeknallte Künstler neben dem Kartoffelbauern und jeder lässt den anderen so leben wie er will. Das ist eine Nuance der Solidarität, die durch den gemeinsamen Widerstand gewachsen ist. Aber hundertprozentig ist natürlich nichts und es kann auch zu Konflikten kommen. Das Wendland ist voller Geschichten. Und da ich ja noch mit einer Reihe alter Kollegen einmal im Jahr das Wendlandmagazin „Landluft“ mache, habe ich einen großen Vorrat an solchen Geschichten. Man muss nur zuhören können. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum der Wendlandkrimi um Erik Corvin auch relativ erfolgreich ist. Weil man glaubt, gewisse Personen und Situationen wiederzuerkennen.
Nun ist Erik Corvin ja seit einiger Zeit als Ermittler nicht mehr allein. Ärgert es Sie, dass es auf einmal eine ganze Reihe von Wendlandkrimis anderer Autoren gibt?
Nein. Ich kann ja niemandem untersagen, einen Wendlandkrimi zu schreiben. Wie ich höre, kommen in diesem Jahr zwei weitere auf Markt. Dann sind es schon fünf Autoren und eine Reihe weiterer, die die Drehbücher für die ZDF-Reihe schreiben. Dagegen habe ich nichts. Aber ich frage mich, warum es mehrfach die gleiche Ausgangssituation sein musste. Hamburger Kommissar wird ins Wendland versetzt oder lässt sich versetzen und klärt hier ungewöhnliche Fälle auf. Da hätte man sich vielleicht etwas anderes einfallen lassen können. Aber Erik Corvin und sein skurriles Ensemble ist etwas ganz Besonderes und hat, wie ich bei den Lesungen immer wieder feststelle, einen stetig anwachsenden Fanclub. Da fürchte ich keine Konkurrenz. Im Gegenteil. Wenn alles gut geht, machen wir beim Hamburger Krimifestival im November mit drei Autoren einen gemeinsamen Wendlandkrimiabend.
Bei der ersten Lesung Ihres aktuellen Romans „Die Hexen von Polkwitz“ saß, wie man hört, eine ganze Abordnung wendländischer Hexen in der ersten Reihe. Fühlten die sich durch den Roman diffamiert?
Zuerst hatte ich das Gefühl, dass sie ziemlich kritisch zugehört haben, aber sehr schnell merkten, dass ich mit dem üblichen Hexenklischee nichts im Sinn habe und niemanden wegen seiner abweichenden Weltanschauung verspotte. Und weil ich ja groteske Situationen liebe, wurde dann auch viel gelacht. Besonders über Produkte aus der esoterischen Szene, die nur dazu nützen, Leichtgläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Darum habe ich auch nur Originaltexte aus der Werbung für diese Produkte verwendet. Und die sind komisch genug. Es war auf alle Fälle ein amüsanter Abend.
Zum Schluss setzen Sie bitte diesen Satz fort: Das Wendland ist…
…meine Wahlheimat und eine unerschöpfliche Quelle von Geschichten, die ich so liebe und für meine Arbeit brauche. Ich hoffe, man merkt das.