Abendbrot per Fahrrad

Storchenbeauftragte Antje Fäseke kümmert sich um Jungstörche

bv Liepehöfen. Es war ein verletzter Milan, der diese Geschichte auslöste: Storchenbeauftragte Antje Fäseke brachte besagten Raubvogel nach Lüneburg in die Tierklinik, wo der auf solche Fälle spezialisierte Pfleger Jaden Ernst das Tier in Empfang nahm. Im Austausch übergab er Fäseke drei Jungstörche. Zwei davon, sie stammten aus Quickborn, hatte Fäseke 14 Tage zuvor in die Klinik gebracht. Alle drei wurden in Lüneburg aufgepäppelt, nun gilt es, sie auszuwildern. Das Problem: Die Störche sind noch sehr jung. Zwei wurden von einem nachwuchslosen Storchenpaar in Parbstorf adoptiert – Bingo. Aber einer blieb übrig.

Ortswechsel: Donnerstagabend in Liepehöfen, die ­Sonne geht gerade unter. Auf einer verdörrten Wiese unlängst der Alten Jeetzel schreitet ein einsamer Storch umher – der Letzte des Trios, der vor einigen Wochen aus dem Nest gefallen war und gerettet wurde – und jetzt in eine ungewisse Zukunft blickt. ­Immerhin bekommt er seit einigen Tagen Besuch von einer Frau auf dem Fahrrad – Antje Fäseke hat ein ordentliches Abendbrot dabei.

„Der Plan war eigentlich, dass die drei sich nach dem Aufpäppeln in Lüneburg den hiesigen Jungstörchen anschließen und gemeinsam in den Süden beziehungsweise Westen fliegen.“

Es gibt zwei Routen nach ­Afrika, beide führen über das Mittelmeer. Da Störche Gleiter und auf Thermik angewiesen sind, über dem Mittelmeer aber keine Thermik entsteht, muss der Überflug möglichst kurz sein. Das geht bei Gibraltar oder am Bosporus. „Das gibt ihnen ihr Instinkt vor. Das hat aber leider nicht geklappt“, berichtet Fäseke. Fliegen kann der Storch auf der Wiese nämlich noch gar nicht. Als Antje Fäseke eine Plastikdose mit Hühnerherzen und Mehlwürmern auspackt, blickt er interessiert in ihre Richtung. Sie spricht ruhig mit dem Tier, nähert sich ihm. Und wirft ihm die ­Leckereien zu. Der Storch kommt langsam auf sie zu. Sehr genau pickt er die Herzen auf. Er wahrt einen Mindestabstand von einem Meter. „Aber mit Futter kann man im Grunde jedes Wildtier domestizieren“, berichtet die Fachfrau – „das soll eigentlich gar nicht passieren, er soll die Angst vor dem Menschen bewahren.“ Um ihn zu schützen, überlegt Fäseke, eine Strohrolle für ihn hinzustellen, damit er erhöht schlafen kann – als Schutz vor dem Fuchs.

Große Chancen hat er nicht mehr, in diesem Jahr in den Süden zu ziehen. Wahrscheinlich wird er demnächst eingefangen und zum Überwintern nach Lüneburg oder Leiferde gebracht. Er braucht Kameraden. Ein weiterer Storch steht bei Soven auf einem Acker. Auch er Teil des Trios. Auch er bekommt ein paar Hühnerherzen, er habe bessere Chancen, da er schon fliegen kann.

Dieses Füttern – immerhin kommt Fäseke aus der Nähe von Gartow – ist eigentlich gar nicht Aufgabe der Storchenbeauftragten. Sie soll vor allem Zahlen liefern. Wer hat wo wie viel Bruterfolg? „Wir beschränken das Füttern auf maximal fünf Tage. Danach können wir einschätzen, wohin die Reise geht. Hat er eine Chance, noch zu ziehen – oder nicht?“

Sie erinnert an Flip, den Storch mit dem vor Kurzem gebrochenen Bein. „Der ist 15 Jahre alt. Er kann sich selbst nicht mehr ernähren, kann mit dem einen gesunden Bein aber immerhin fliegen. Und er hat sich entschieden, mit seiner Partnerin in den Süden zu ziehen. Wir hätten ihn nur einschläfern lassen können. Das ist der Lauf der Dinge“, so Fäseke lakonisch. „Aber den hier bringen wir schon durch.“

Trauriges Update: Leider spielt das Leben doch anders, als geplant. Einige Tage später fand Storchenbeauftragte Antje Fäseke den Jungstorch tot auf der Wiese, unweit der Stelle, wo er gefüttert wurde. Der Kopf war abgetrennt, der Körper lag noch unversehrt am Boden. „Ich werte das als Indiz dafür, dass er eventuell von einem Adler angegriffen wurde und der nur den Kopf mitnahm, als er merkte, dass das ganze Tier zur schwer für einen Flug in den heimischen Horst war. Eventuell war es auch ein Milan. Einen Fuchs schließe ich aus, weil das Tier ansonsten unversehrt war“. Fäseke hegt keinen Groll. „So ist es nun mal im Tierreich. Fressen oder gefressen werden. Der Adler will auch nur seinen Nachwuchs satt bekommen.“ Der Storch wird zu einer abschließenden Untersuchung an eine Tierhochschule eingeschickt.

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