Karin Toben zeichnet besondere Lebenswege in der DDR nach
bv Passau. Karin Toben schreibt ausführlich über ein junges Paar aus Dresden, dessen Freikauf dem Westen 100 000 Mark wert war. Zwei andere junge Männer verlieren beim Durchschwimmen der Elbe ihr Leben, Bauern lassen alles hinter sich und finden ein freies neues Leben. Mit Hund und sieben Kleinkindern wagen einst vom Krieg aus Ostpreußen Vertriebene die Flucht über den zugefrorenen Strom. Oft sind es junge Männer, die manches Mal zu Wanderern zwischen den deutschen Welten wurden. Nur drei ehemalige DDR-Bürger kehrten nach der Wende 1989 auf Grund und Boden ihrer Vorfahren ostwärts der Elbe zurück. Es waren Menschen, deren Familien schon seit Generationen an den Ufern der Elbe beheimatet waren. Menschen aber auch, die der Zweite Weltkrieg aus Ostpreußen oder dem Sudetenland an die westliche Grenze der SBZ, der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR geschwemmt hatte und die dort keine neuen Wurzeln schlugen.
So wurde ein Bauernsohn jahrelang zum Wanderer zwischen Ost und West, ein anderer verlor fast sein Leben im Kugelhagel der Grenzsoldaten. Ebenfalls werden die Geschichten dreier junger Männer erzählt, die ihr Leben auf der Suche nach neuen Wegen im Grenzfluss Elbe verloren. Für einige blieb die damalige Bundesrepublik Deutschland bis heute das neue Zuhause, andere sind nach der Wende 1989 wieder gen Osten in das Land ihrer Kindheit und Jugend gezogen.
Eine Familiengeschichte beschreibt die Praxis der Bundesrepublik, bis zur Wende Menschen aus dem anderen Deutschland mit hohen Geldsummen nach deren Ausreiseantrag von Ost-Berlin freizukaufen, Menschen, die danach selbst noch im Westen von der Stasi bespitzelt wurden. Das belegen Einblicke in die Unterlagen dieser Organisation, die die Opfer beantragt haben – den Mut für diese Akteneinsicht haben bis heute nicht alle Betroffenen gefunden, nicht selten aus Angst davor, dass mit dem Lesen womöglich für immer alte Freundschaften und verwandtschaftliche Beziehungen zerstört werden könnten.
Für alle übte die Elbe in ihrem 94 Kilometer langen Abschnitt zwischen Boizenburg und Schnackenburg, der die deutsch-deutsche Grenze darstellte, den „Sog der Freiheit“, so der Untertitel des Buches, aus. Für die Rekonstruktion ihrer zum Teil abenteuerlichen Fluchten wurden Augenzeugenberichte, aber auch Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR herangezogen.
„Dieses Buch ist eine der letzten Möglichkeiten, diesen Teil der deutschen Geschichte aus unmittelbarer Zeugenschaft festzuhalten“, betont Toben, die darauf hinweist, dass „nicht jedes abgedruckte Porträt alle bei den Recherchen bekannt gewordenen Tatsachen“ enthält. Denn, so Toben: „Mancher Interviewpartner will und muss sich auch heute noch schützen“, betont die Journalistin und Autorin, die mehr als zwei Jahrzenhnte für die dpa, die Deutsche Presseagentur, aus Lüneburg und dem gesamten norddeutschen Raum berichtet hat – nach der Wende kam dann auch das Amt Neuhaus dazu.
Karin Toben verliebte sich in diesen Landstrich – und kaufte eine Resthofstelle mit einer Bauernkate, die um 1900 erbaut wurde, ließ das Haus komplett sanieren – und zog aus Lüneburg weg. Bis heute lebt sie dort – an der Elbe, diesem Schicksalsfluss, von dem ihre Reportagen erzählen. Es sind Lebenswege, wie sie so nur unter Diktaturen denkbar waren, in den Zeiten des Nationalsozialismus und der DDR. Die Elbe trennte Jahrzehnte die beiden deutschen Staaten und ihre Menschen. Sie war eine weite Heimat, und ist es noch.