Ost-West-Bildhauer Bernd Streiter hat einen interessanten Lebenslauf
duh Lenzen/Elbe. Der Fährmann steht auf dem Deich, der Blick geht in die Ferne. Die Stocherstange in den Händen, ist er jederzeit bereit loszustaken, sobald der Ruf ertönt „Fährmann, hol über“. Nur: Dieser Fährmann wird nicht reagieren. Es ist der Eisenmann, der mit seiner imposanten Größe – ohne sein Gefährt – von 2,70 Metern und einem Eigengewicht von einem Zentner ziemlich dominant auf dem Elbdeich bei Mödlich steht. Er symbolisiert Charon, den Fährmann aus der Antike, der die Seelen der Gestorbenen für einen Obolus ans andere Ufer, ins Reich der Schatten führt.
Der Bildhauer Bernd Streiter schuf den – wie er ihn nennt – Eisenmann, während seiner Zeit auf der Plattenburg 1992 bis 1997. Ein Stück Akazie benötigte ein Gesicht, mit einem beinahe priesterlichen Hut. „Dann habe ich mir gesagt, nee, das kannste so nicht lassen, das Ding braucht einen Körper“ – das war die Geburtsstunde des Charon und die erste Begegnung des Künstlers mit Eisen. „Ich folge stets meiner Begeisterung – sie ist das Licht, welches mir den richtigen Weg durchs Leben zeigt“, betont Streiter.
Im Spannungsfeld kirchlichen und atheistischen Denkens
Nicht nur im Charon spiegelt sich seine Auseinandersetzung von Leben und Tod, Glauben, Spiritualität und Religiosität in dem Spannungsfeld kirchlichen und atheistischen Denkens. Von sich selbst sagt er schmunzelnd: „Von der Konfession her bin ich Jung-Pionier.“ Aber immer ist allen seinen Werken, seien es Radierungen, Holzarbeiten, Zeichnungen oder die Bronzearbeiten, eines gemeinsam: „Die Lebendigkeit. Es sollte da ein lebendiger Funke drin sein.“
Seine anderen handwerklichen Fähigkeiten hat er, frei nach dem Motto: „einfach machen!“, sich selbst angeeignet. „Manchmal habe ich den Eindruck, als hätte man so ein Talent mit in die Wiege bekommen, und man lernt es nicht wirklich, sondern man buddelt es nur aus – es ist alles schon da.“
Bernd Streiter ist Jahrgang 1963. Er ist in Perleberg mit Eltern und Schwester in einer Zweieinhalb-Zimmer-Neubauwohnung aufgewachsen. Er wollte schon immer Künstler werden. „Ich war bereits als kleiner Junge von der Kunst begeistert.“ Mit 18 Jahren bewarb er sich an der Kunsthochschule in Leipzig. Und scheiterte. Er ging zur Armee und studierte von 1984 bis 1988 in Berlin Kunsterziehung und Deutsch für den Lehrerberuf. Noch im Studium merkte er: „Ich lebe gar nicht mein Leben.“
Mit dieser Erkenntnis ist der 26-Jährige radikal aus seinem gesamten damaligen Leben ausgestiegen, hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. In Berlin hat er in besetzten Wohnungen gelebt und galt, in dem Wertesystem der DDR, als „a-sozial“. Von seinen Eltern hieß es: „Wenn du Kunst studierst, bist du nicht mehr unser Sohn!“ Streiter erklärt: „Ich bin dann zu diesem Professor gegangen, der mir dann gesagt hat: Sie sind schon so fortgeschritten, Sie können ja gar nichts anderes machen, als Kunst zu studieren.“
Stets „der Spur der Begeisterung“ gefolgt
Getreu seinem Lebensprinzip „Ich bin immer der Spur meiner Begeisterung gefolgt“ bewarb er sich im Herbst 1988 erneut und wurde angenommen. „Ich bin in der DDR gleich ins dritte Studienjahr eingetreten und in der BRD mit Diplom wieder raus.“
Sein Kunststudium (1988–1991) fiel genau in die Wendezeit. Danach musste er sich einen neuen Kundenkreis aufbauen. Er nahm seine Kunstmappe, fuhr nach Hamburg und fand dort auch Abnehmer. Seit 1997 lebt er in Mödlich direkt am Elbdeich – unterhalb des Charon. Betritt man seine Werkstatt in Lenzen, ist man umgeben von bekannten Gesichtern. Helmut Schmidt (†2015) schaut zu, im Nebenraum erwartet Dr. Regine Hildebrandt (†2001) den Besucher und vom Regal blickt Erzbischof Oskar Saier Freiburg (†2008) völlig unaufgeregt in den Raum.
Weitere Infos gibt es unter www.streiter-art.de.
Allen Gesichtern, seien es Büsten bekannter Persönlichkeiten oder seine eigenen Kreationen, allen ist eins gemeinsam: Sie ziehen die Blicke auf sich und es scheint, als warten sie nur darauf, angesprochen, in ein Gespräch verwickelt zu werden. Das ist das, was Bernd Streiters Arbeiten gemeinsam ist: „Dass man ein bisschen den Eindruck hat, wenn man so einer Figur begegnet, dass man ihre Persönlichkeit spürt.“