Zeitzeuge Christian Steinkopf, der als Dreijähriger hinter den Mauern der Kasematte auf der Dömitzer Eisenbahnbrücke lebte, erinnert sich vor der Kamera an viele Details aus dieser Zeit (Foto: A. Kahrs)

In Köhlerhütte und Kasematte

lk Lüchow-Dannenberg. Der 80. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands prägt die kommende Woche. In zahlreichen Gedenkveranstaltungen und Rückblicken wird an die dramatischen Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert.

Auch das Wendland war im Frühjahr 1945 zwischen alle Fronten geraten. Letzte Kämpfe und Besatzung, vor allem aber die Flucht und Vertreibung zahlreicher Menschen hierher verlangten den Einwohnern und Zugezogenen vieles ab. Es blieb dabei nicht ohne Konflikte und Spannungen, aber es gab auch Zeichen von Zuversicht und Verständigung. Darüber fand Axel Kahrs, Wendländer und Spurensucher in seiner Region, schon 1985 ein Dokument, das von der Not und der Selbsthilfe der Neuankömmlinge berichtete, denen auf der Flucht nur wenige „Habseligkeiten“ geblieben waren. Es ist ein bebildertes Buch mit Schüttelreimen einer pommerschen Familie, die in den einsamen Hütten einer Köhlerei im Göhrder Forst bei Riebrau untergekommen war. Der Verfasser berichtete damals vom Alltag im menschenleeren Wald. Heute, 40 Jahre später, sind alle ehemaligen Bewohner verstorben, nur noch die efeuüberwachsenen Meilertürme und die Köhlerhütten stehen verloren am Wegesrand. Keine Gedenktafel informiert die Wanderer auf dem Weg zum Breeser Grund.

Der bebilderte Artikel, den Kahrs darüber in der Zeitschrift „Landluft – Das Wendlandmagazin“ veröffentlichte, weckte des Interesse des NDR-Redakteurs Henning Orth. Mit einem Fernsehteam ging es in den Wald, Kameramann und Tontechniker waren bald eifrig dabei, verborgene oder verwunschene Details im Abseits unter den Tannen zu entdecken. Ein Leben im tiefen Wald ohne Strom und fließend Wasser, mit Selbstversorgung und Plumpsklo, wie ging das? Es ging eben, liest man die Reime des Schwiegersohns, der mit seiner Familie gern zum Urlauben kam: für sie, die Münchner, war das frühere Elendsquartier längst zum Idyll geworden. Doch dem pommerschen Ehepaar, das dort nach der Flucht auf Dauer leben musste, fiel es eingedenk der verlorenen Heimat schwer, „zu denken, ach, man sähe nie, / Niemals mehr aus der Nähe sie“.

Zumindest die Nähe zum alten Wohnort bot sich an anderer Stelle einer Flüchtlingsfamilie, die 1949 aus dem „ostzonalen“ Ort Lenzen über die Elbe geflohen war. Das Wendland konnte ihnen nur die Kasematte im Dömitzer Eisenbahnbrückentor als Unterkunft anbieten. „Eine Tropfsteinhöhle“ nannte sie später der Sohn, der mit drei Jahren dort aufwuchs. Ein selbst gebautes Klo, eine Pumpe, ein Ofenrohr zum Fenster hinaus – für knapp drei Jahre war das eine „Heimstatt“.

Christian Steinkopf, der nun 78-jährige Zeitzeuge, erzählt dem Kamerateam hellwach und mit klarer Stimme, dass es für ihn mit den Eltern gut war: „Ich fühlte mich geborgen.“ Die heute unzugängliche Kasematte ist nur noch in den Aufnahmen des Fotografen (und späteren EJZ-Chefredakteurs) Kurt Schmidt von 1951 zu sehen, der damals den „gottverlassenen Winkel“ an der Elbe besuchte. Axel Kahrs wollte am neuen Skywalk der Brücke noch vor laufender Kamera sagen, dass diese „Zuflucht“ allen Touristen zugänglich sein sollte – als Denkmal für Verlust und Neuanfang. Doch die Fernsehleute sind schon längst weitergezogen: Die Brückenbögen mit einer Drohnenkamera abzufliegen – wer kann da schon widerstehen?

Die Sendung dazu ist im Fernsehen auf N3 im Rahmen des Magazins „Hallo Niedersachsen“ (19.30 bis 20 Uhr) am 8. Mai vorgesehen. Danach kann sie in der Mediathek des Senders abgerufen werden.

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