Unterwegs mit freiwilligen „Kitzrettern“ im Wendland
rg Satemin. Es ist mucksmäuschenstill. Nur ganz knapp schaut die Sonne an diesem frühen Sonntagmorgen über den Horizont. Jasmin Biewer und Wenzel Nemetscheck stehen am Rand der Wiese und schauen auf den Monitor der Fernbedienung, die Nemetscheck in den Händen hält. Mit ihr steuert er die Drohne, die in rund 60 Meter Höhe über der Wiese schwebt und mit ihren Sensoren nach Wildtieren sucht. Nach Wildtiernachwuchs, um genau zu sein, denn dieser Nachwuchs ist in Gefahr: Die Wiese soll an diesem Tag gemäht werden, der Landwirt, dem sie gehört, braucht das Gras und die Kräuter als Futter für seine Rinder. Das Problem: In diesen Tagen und Wochen kommt in eben diesen Wiesen viel Wildtiernachwuchs auf die Welt. Kitzen, Junghasen, Lerchen und vielen anderen Bodenbrüter-Küken droht der Tod am Mähbalken. Doch immer mehr Landwirte im Wendland wollen das verhindern – und rufen Drohnenpiloten wie Wenzel Nemetscheck.
Das Bild auf dem Drohnenmonitor ist beige-grau. Und in diesem Beige-Grau sind schwarze Punkte zu sehen. „Die Drohne hat zusätzlich zur normalen optischen Kamera eine Wärmebildkamera. Die ist gerade aktiv, und die schwarzen Punkte auf dem Monitor sind Wärmequellen, die sich vom heute Morgen noch kalten Boden abheben“, erläutert Nemetscheck. Mit geübtem Blick prüft der Jäger, ob es sich um ein Tier handelt oder nicht. „Das kann auch ein frischer Maulwurfshaufen sein, eine Maus, frische Hasenköttel oder auch nur der noch warme Abdruck eines Rehs, das vor Kurzem aufgestanden und weggelaufen ist“, erläutert Nemetscheck. Doch manchmal sind es eben auch junge Wildtiere. Vor allem junge Kitze – und schon nach wenigen Minuten findet der Drohnenpilot eine Wärmesignatur, die solch ein Kitz sein könnte. Und tatsächlich eines ist, wie ein Blick mit der optischen Kamera zeigt.
Das Kitz aus der Wiese zu holen, ist die Aufgabe von Jasmin Biewer. Die Tiermedizinstudentin trägt Handschuhe, um ihren Geruch nicht auf das Kitz zu übertragen. „Die Mutter würde es nicht mehr annehmen, wenn es meinen Geruch an sich hat“, erzählt die junge Frau aus Berlin, die über eine Kommilitonin zu den Lüchow-Dannenberger Kitzrettern gekommen war. Das Kitz, vielleicht einen Tag alt, kommt in einen mit Gras gepolsterten Karton, und dieser Karton wird im Schatten eines Baums abgestellt. „Wir lassen das Kitz frei, sobald die Wiese gemäht ist. Es ruft dann nach seiner Mutter, und beiden finden wieder zusammen“, erläutert Wenzel Nemetscheck. 14 Kitze wird das Team, das neben Nemetscheck und Biewer aus Ria Wons, dem Berufsjäger Paul Rößler, dem Lüchower Hegeringleiter Willi Kattau und Dorothee Rößler besteht, an diesem Sonntag finden und retten, dazu einige Junghasen und mehrere Gelege mit bereits geschlüpften Küken.
Die Drohnen, die das Team nutzt, hatte zum Teil der Hegering Lüchow angeschafft, andere sind privat gekauft. „Eine Investition, die sich lohnt: Es ist noch früh im Jahr, und wir haben schon über 50 Rehkitze und sehr viele andere Tiere aus den Wiesen geholt“, freut sich Nemetscheck. Das mache sich mittlerweile auch im Wildbestand bemerkbar: „Da, wo die Landwirte uns rufen, gibt es deutlich mehr Wild als in jenen Bereichen, wo vor der Mahd nicht so intensiv abgesucht wird. Und das ist mit dem Drohneneinsatz noch einmal mehr geworden als vorher, als man die Wiesen wirklich am Boden und zu Fuß durch die Wiesen gehend auf Wildtiernachwuchs kontrollierte.“ Was aber natürlich immer noch passiere und „ja auch viel besser ist, als nichts zu tun“, so Nemetscheck.