Sitten und Gebräuche: Undine Stiwichs Osterbrief an eine Freundin
us Lüchow-Dannenberg. Meine liebe Freundin, Ostern steht vor der Tür. Da Du weit entfernt lebst, hier doch deine Wurzeln hast, werde ich Dir etwas von den Bräuchen um die Osterzeit schreiben. Die Zeit ist gekommen, da das Land aus der Winterstarre erwacht. Die ersten Blumen strecken neugierig ihre Blütenköpfe aus dem kahlen Boden. Kätzchen verzieren so manchen Baum. Lämmer, Fohlen und Kälber haben sich auf den Weg gemacht und erblicken das Licht der Welt. Hühner, Enten und Gänse haben kräftig begonnen, ihre Eierproduktion anzukurbeln. Das müssen sie auch, denn das Osterfest lässt nicht auf sich warten. Ich werde Dir einige Bräuche in Erinnerung bringen. Denn oft besinnen sich Menschen an die überlieferten Gewohnheiten. Auch das Eiersuchen für die Kinder und auch für Erwachsene hat wieder zugenommen. Überhaupt sind die österlichen Bräuche interessant. So ist überliefert, dass der Karfreitag ausnahmslos aus hartgekochten Eiern bestehen sollte. Diesen Eiern wird eine ungewöhnliche Kraft zugeschrieben. Alten Schriften habe ich entnommen, dass derjenige Hexen auf ihrem Besen reiten sehen kann, wenn er ein am Karfreitag gelegtes Ei bis zu Pfingsten aufbewahrt und es dann mit in die Kirche zum Gottesdienst mitnimmt. Du hast eine heimliche Leidenschaft, das Nähen. Dieses Vergnügen solltest Du Dir am Karfreitag nicht gönnen, das heißt, Du kannst schon nähen, nur hüte Dich vor einer Stichverletzung durch die Nähnadel, denn die Wunde wird das ganze Jahr nicht heilen. Es sei denn, Du beträufelst sie mit Osterwasser. Dazu komme ich später.
Vielleicht könntest Du es Dir verkneifen, ausgerechnet am Karfreitag zu Nadel und Faden zu greifen. Und wer meint, er müsse an diesem Tag handwerkliche Tätigkeiten verrichten, der darf weder Hammer noch Nägel benutzen. Ich habe da an Deinen Mann gedacht, der so gerne werkelt. Christus wurde mit Hammer und Nägeln ans Kreuz geschlagen.
Hat man die Bräuche des Karfreitags eingehalten, so fordern die Ostertage, weiteres Seltsames zu bedenken. Will man in den vielfältigen Genuss des Osterwassers gelangen, heißt es früh aufstehen.
Vor Sonnenaufgang begibt man sich an ein fließendes Wasser und schöpft gegen den Strom mit einer Kanne das Wundermittel. Auf dem Weg dahin darf man nicht gesehen werden und kein Wort sprechen, sonst erlangt das Osterwasser keine heilkräftige Wirkung. Kannst Du Dir vorstellen, dass es mir gelingt, den Mund zu halten? Schwierig! Doch wenn es dann gelingt, kann man mit dem segensreichen Wasser ein Jahr lang jegliche Wunde heilen. Die Landwirtschaft geht sogar so weit, dass sie das Vieh mit dem Wasser besprengt, damit es seuchenfrei bleibt. Und die Bauern geben es in die Viehtränke, um bösen Frauen die Macht des Verhexens zu nehmen. Wohl den Kindern, die an einem der Ostertage mit diesem Wasser getauft werden. Ich habe gehört, dass einige Pastoren diesen Brauch noch pflegen. Ein Tröpfchen Osterwasser auf die Stirn des Neugeborenen. Das Kind wird sein Leben lang keine schwere Krankheit bekommen. Zu Ostern wurde ein Bock geschlachtet und mit seinem Blut ein Kreuz an die große Tür gezeichnet, um das Glück im Haus zu halten. Erst am Ostersonnabend sollte das Holz für das Osterfeuer zu einem großen Berg zusammengetragen werden. Es gibt Leute, die heimlich Knochenreste unter das Holz mischen – ein Symbol früherer Tieropfer. Im Allgemeinen heißt es, Holunderholz zu verbrennen, bringe Unglück. Im Osterfeuer ist es erlaubt, sogar vorgeschrieben – zu Ehren der Zwerge, auch Lütki oder Unnererdschen genannt, die mit diesem Holz ihr Brot backen. Das Osterfeuer hat sich im Laufe der Jahre zu einem Volksfest gemausert, zu dem ich Dich herzlich einladen möchte. Deine Undine