Weibliche Straßennahmen sind hier die Ausnahme
Lüchow-Dannenberg. Was haben oder hatten Eleonore Prochaska, Marianne Fritzen und Anne Frank gemeinsam? Vermutlich nicht viel, wenn man vom Fakt, dass alle drei Frauen waren, absieht. Und: Die drei sind die Ausnahmen, nämlich dann, wenn es um die Benennung von öffentlichen Räumen im hiesigen Kreisgebiet geht. Sie sind nämlich die einzigen Frauen, nach denen Straßen (Marianne-Fritzen-Weg in Kolborn, Anne-Frank-Weg in Splietau) oder Plätze (Prochaskaplatz in Dannenberg) benannt sind.
Zum Vergleich: Auf EJZ-Anfrage haben die drei Samtgemeinden in ihren Gliedgemeinden nachgefragt, wie viele nach Männern benannt sind. Das Ergebnis: Mindestens 48 Straßen, Wege und Plätze tragen männliche Namen. Es dürften sogar noch mehr sein, denn die Samtgemeinde Lüchow hatte nur die lokalen Würdenträger gezählt, nicht aber jene mit überregionaler Bedeutung – wie beispielsweise bei der Humboldtstraße in Lüchow. Dieses Ungleichgewicht ist allerdings nicht spezifisch für Lüchow-Dannenberg. In Hamburg sind beispielsweise 14 Prozent der nach Personen benannten Straßen Frauen gewidmet, in Mainz zwölf Prozent, in Düsseldorf gar nur drei Prozent.
Tiefergehend suchen
Zurück ins Wendland. Dass ein Weg in ihrem Wohnort Kolborn seit einigen Jahren den Namen Marianne Fritzen trägt, sei vor allem Frederik Holst zu verdanken, der die Umbenennung vorangetrieben hatte, sagt dessen Frau Ingrid Holst, Gleichstellungsbeauftragte der Samtgemeinde Lüchow. Die Umbenennung – vorher hieß die kleine Straße Waldwinkel – sei problemlos gewesen, erinnert sie sich. Sie argumentiert ganz generell: Durch die Benennung von Straßen nach Frauen werde deutlich gemacht, „dass Frauen in der Geschichte vorkamen“. Bislang dominiere der eingefahrene Blick, dass es in der Geschichtsschreibung um „große Persönlichkeiten“ gehe, soziale Beziehungen und Alltagsgeschichte fielen hingegen hinten herunter. Und bei Frauen handele es sich oft um Personen, die nicht allen bekannt seien. Daher lässt sie auch das mögliche Gegenargument, dass es vielleicht nicht genug Frauen gebe, nach denen Straßen benannt werden könnten, nicht gelten. Man müsse halt tiefergehend suchen. Einen Vorschlag hat sie selbst übrigens sofort parat: Lilo Wollny halte sie für eine gute Kandidatin.
Eine weitere Art, für mehr Sichtbarkeit von Frauen zu sorgen, ist die Initiative Frauenorte (EJZ berichtete). In deren Rahmen hatte sich Holst zuletzt dafür eingesetzt, dass Lüchow Frauenort Marianne Fritzen wird. Das ist im kommenden Jahr der Fall. Bereits seit 2013 ist Dannenberg Frauenort Eleonore Prochaska – die Frau, die sich 1813 als Mann ausgegeben hatte, gegen Napoleons Franzosen kämpfte und dabei tödlich verwundet wurde. Dieses Vordringen in eine Männerdomäne sei „ein emanzipatorischer Ansatz“, sagt Susanne Götting-Nilius, Dannenbergs Stadtarchivarin und Gleichstellungsbeauftragte der Samtgemeinde Elbtalaue, auch wenn man heute zu Prochaskas Patriotismusbegriff und der posthumen nationalistischen Überhöhung kritisch stehen könne. Wie lange der Platz schon nach Prochaska benannt sei, wisse sie jedoch nicht. Und: Unklar sei auch, aus welchen Gründen man den Platz nach ihr benannt habe.
Tochter wählt den Namen
Deutlich einfacher ist die Frage der Benennung in Splietau zu klären. Familie Dannenberg, deren Haus das Einzige am Anne-Frank-Weg ist, hatte den Namen gewählt – weil eine Tochter vom Tagebuch der Anne Frank so beeindruckt gewesen sei.
Drei Frauen, drei unterschiedliche Geschichten – sie stehen gegenüber der Vielzahl der nach Männern benannten Straßen. Um solch ein Ungleichgewicht auszugleichen, gehen Kommunen andernorts unterschiedliche Wege. Der Bezirk Berlin-Mitte beispielsweise hatte schon vor einiger Zeit entschieden, dass künftig so lange Straßen nach Frauen benannt werden sollen, bis die Zahl von Männern und Frauen ausgeglichen ist. Am Ende sind die Benennungen auch eine politische Entscheidung, der Gemeinderat fällt sie. Aus keiner Gemeinde hieß es auf EJZ-Anfrage, dass man sich Kriterien auferlegt hatte. Straßenneu- oder Umbenennungen waren zuletzt auch offenbar eher selten. Zumindest in Nebenstedt steht dazu aber mittelfristig eine Entscheidung an, dort entsteht ein Baugebiet. Wie die Straßen dort heißen sollen, darauf wolle sie „ein Auge haben“, sagt Gleichstellungsbeauftragte Götting-Nilius.