Geschichte(n) – notiert von Undine Stiwich
lk Lüchow. Wir sind nun wieder mitten in der Zeit, in der sich viele von uns nach dem warmen Ofen oder Kamin sehnen. Sobald es etwas kälter wird und wir nach Hause kommen, drehen wir die Heizung auf oder heizen den Kamin an. Obwohl wir wissen, dass man ein Zimmer nicht überheizen soll, übersehen wir, dass von Zeit zu Zeit für klare Luft in den Räumengesorgt werden muss. Beiklirrender Kälte bleiben meist Fenster und Türen hartnäckig verschlossen. Auch der mahnende Hinweis des Doktors, sich vor zu trockenen Räumen zu schützen, findet häufig kein Gehör. So ist ein Unterschied zwischen den Menschen heute und denen im Winter 1882 kaum auszumachen.
So fühlte sich schon in der Gründerzeit der Leipziger Professor Dr. Karl Heinrich Reclam, der Sohn des Buchhändlers Carl Heinrich Reclam, berufen, mit Nachdruck auf die Gefahren überheizter Räume hinzuweisen. Seinen leidenschaftlichen Appell fanden die Journalisten so interessant, dass sie den Artikel in voller Länge abdruckten: „Wer die Zimmerwärme über 15 Grad Reaumur erhöht“, leitet der Professor seinen Aufsatz ein, „wird bald merken, dass sein Wärmebedürfnis sich stets steigert und werden ihm bald 17, ja 20 Grad nicht mehr genügen. Der Grund hierfür ist folgender: Bei andauernder Heizung trocknen die Wände sowie die im Zimmer befindlichen Gegenstände aus. Je mehr sie ihre Feuchtigkeit verlieren, umso mehr saugt die trockene Luft die Feuchtigkeit da auf, wo sie dieselbe nur noch allein findet, nämlich bei den Menschen. Die unmerkliche Ausdünstung der Haut und der Lunge wird gesteigert.Da nun die Verdunstung von Feuchtigkeit uns viel Wärme entzieht, so wird durch die gesteigerte Ofenwärme allmählich auch das Wärmebedürfnis gesteigert und der Ofen scheint uns als bester Freund, ist in Wirklichkeit aber unser ärgster Feind; denn in der erhöhten Zimmerwärme dünsten auch alle anderen Gegenstände mehr aus und die Luft wird verschlechtert. In der warmen Luft atmen wir unser notwendigstes Lebensbedürfnis, den Sauerstoff, weniger ein, der Stoffwechsel wird geringer, der Appetit mindert sich, es tritt einemürrische Stimmung ein, der Schlaf wird unruhig, alle Verrichtungen lassen zu wünschen übrig. Nur diejenigen, die die Luft nicht über 15 Grad erwärmen, sind diesen Leiden nicht unterworfen. Für alle Fälle empfiehlt es sich, auf dem Ofen eine Schale mit Wasser aufzustellen, deren Verdunstung die bei höheren Temperaturen rascher schwindende Feuchtigkeit versetzt.“
Unsere Großmütter scheinen diesen Rat sehr ernst genommen zu haben, denn auf jedem Kachelofen fand sich im Wendland einst ein Kessel mit Wasser. Doch mit Stilllegung der mitunter gigantischen, aber gemütlichen Öfen nahm häufig auch die Versorgung der Luft mit genügend Feuchtigkeit ein Ende.
Die Heizungen liefen auf volle Pulle, die Luft trocknete aus, im Hals machte sich ein Kratzen bemerkbar und die Erkältung kündigte sich an. Wer heute einmal auf die Heizkörper schaut, bemerkt immer häufiger auf mit Wasser gefüllte Gefäße, die an der Heizung oder davor platziert sind. Je höher die Heizung aufgedreht wird, umso schneller verdunstet das Wasser. Doch allein die Tatsache,dass es sie überhaupt gibt,die Wasserverdunster, würde sich Professor Dr. Reclamsicher freuen. Übrigens:Ferschaut de Reaumur warein französischer Physiker und lebte von 1683 bis 1757. Nach seiner Temperaturskala wurden die Wärme- undKältegrade in Reaumur gemessen. Bei der nach ihmbenannten Reaumurskalawar der Abstand zwischen Gefrier- und Siedepunkt des Wassers in 80 Teile geteilt.Im Gegensatz zu ihm warbei dem schwedischen Astronomen und Physiker Anders Celsius aus Uppsala (1701bis 1744) der Abstand aufder Temperaturskala zwischen Gefrier- und Siedepunkt in 100 Einheiten eingeteilt.So entsprechen 20 GradCelsius ungefähr 15/16 Grad Reaumur.↔
Undine Stiwich