„Wie auf rohen Eiern laufen“

Mozart steht im Zentrum der diesjährigen Sommerlichen Musiktage

cs Hitzacker. „Die Reinheit und die scheinbare Mühelosigkeit, die aber mit größter Balance und Perfektion einhergeht, ist bei Mozart so fantastisch“, sagt die Geigerin Antje Weithaas – und zögert nicht anzufügen: „Und genau das macht es so schwer. Man darf das nicht ‚stören‘, aber will seine Musik natürlich unbedingt ‚persönlich‘ spielen.“ Weithaas, gemeinsam mit Oliver Wille, dem Intendanten der Sommerlichen Musiktage Hitzacker, Leiterin des renommierten Joseph-Joachim-Wettbewerbs in Hannover, hat als Interpretin und Lehrerin unendlich viel Mozart-Erfahrung – und scheint doch vorsichtig im festlegenden Umgang mit seinem Schaffen. Denn nur mit ihrem exquisit besetzten Arcanto Quartett, dem Klarinettisten Jörg Widmann sowie Tabea Zimmermann hat sie drei Werke auf CD eingespielt: das Klarinettenquintett, das d-Moll-Streichquartett KV 421 und das Duo KV 423.

In ihrem Statement klingt bereits an, welche Pole die Mozart-Interpretation so heikel werden lassen. Da ist einerseits das Technische, das höchste Präzision etwa in Sachen Phrasierung, Klangbalance und Intonation verlangt. Und da ist der Spielraum, den der Interpret noch hat, um seine persönliche Note einzubringen, ohne das zartbesaitete Konstrukt anzukratzen.

Mozart: geliebt und gefürchtet

Oliver Wille sieht das ganz ähnlich, wenn er an den Komponisten, der im Mittelpunkt der 78. Sommerlichen steht, denkt, „den wir alle so gern haben, unendlich bewundern und vor dem wir zuweilen erschrecken“. Denn alles „stimme“ bei ihm, sei genial und zugleich fantastisch zusammengefügt: „Eine eigene Meinung dazu zu finden und das persönlich zu interpretieren, braucht Mut und ein ganz überzeugendes Verständnis für diese Musik.“ Mozart selbst macht es seinen Interpreten kein bisschen leichter, wenn er auch noch postuliert: „Die Musik steckt nicht in den Noten. Sondern in der Stille dazwischen“ oder „Das Notwendigste und das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo.“

Die Pianisten Artur Schnabel („… zu leicht für Kinder, zu schwer für Erwachsene …“) und András Schiff („was man als Kind empfunden habe, dürfe man nicht vergessen …“) plädieren für eine „naive“ Reinheit im Umgang. Zugleich warnt Schiff vor der „Vielschichtigkeit unter der Oberfläche“ und registriert das „Opernhafte“ in der Kammermusik. Letzteres führt zum Gesang. „Gerade bei Mozart sollte man das Instrument singen lassen“, rät Frank Peter Zimmermann und findet da bei Alfred Brendel Gehör, der ihn als „Cantabile-Komponist“ charakterisiert. „Sing, my friends!“, rief der legendäre Dirigent Bruno Walter bei einer Probe der Jupiter-Symphonie in den Kreis der Instrumentalisten.

Das Bewusstsein aller Beteiligten ist also geschärft. Letztlich fehlt es aber auffällig, so sehr wie bei kaum einem anderen Tonsetzer, an echten Patentrezepten. Oliver Wille bringt es auf den Punkt: „Mozart spielen ist wie auf rohen Eier laufen.“

Rezeption der Meisterwerke ist komplexer geworden

So verrückt es klingt – die Rezeption der Meisterwerke ist nicht einfacher, sondern noch komplexer in den vergangenen 50 Jahren geworden. Denn inzwischen spielen auch noch die Erkenntnisse einer historisch informierten Aufführungspraxis hinein. Die Gestaltung von Details wie Taktschwerpunkten oder Phrasierungsbögen, die oft in den Noten kaum irgendwo exakt benannte Dynamik, die angemessene Tempowahl in Abstimmung mit den Instrumenten und räumlichen Gegebenheiten – alles scheint noch schwieriger geworden. Und nur wenige Primärquellen wie die Violinschule von Vater Leopold bezeugen, was vielleicht „richtig“ und was „falsch“ sein könnte. Einig ist man sich eigentlich nur darüber, dass Harnoncourts Plädoyer für die „Klangrede“ ein praktikabler Schlüssel zu einer noch vitaleren Gestaltung sein muss.

Und die Tradition? Die wird gern unterschätzt, ja sogar abgewertet. Dabei sollte es doch zumindest zu denken geben, dass das legendäre Klingler-Quartett bei einem frühen Mitschnitt im Menuett aus dem oben genannten Streichquartett KV 421 aus dem Jahr 1909 nahezu in jedem Takt das Tempo wechselt – und zwar wirklich extrem, nämlich in einer Spanne von 56 bis 182 Vierteln pro Minute. Außerdem wird hier die Wiederholung ganz anders zelebriert als beim ersten Durchlauf. Wäre das heute „erlaubt“?

Mozart ist ein Mysterium

Mysterium Mozart: Im Hintergrund steht eine Persönlichkeit, die ähnlich schwer zu fassen ist. Neueste neuropsychologische Forschungen hegen in Auswertung der oft sprunghaft und tabubrechend formulierten Briefe Mozarts, in Anbetracht seines nachgewiesenen Zählzwanges und der beschriebenen körperlichen Ruhelosigkeit mit Übersprungshandlungen den Verdacht, er könnte das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom gehabt haben.

Aber auch das ist nur ein Baustein zur Erfassung einer Meisterschaft im Kompositorischen, die die oft überraschend unerklärlich kontraststarke Fortschreitung seiner Musik von A nach B wissenschaftlicher Analyse häufig entzieht. Denn nur dort, wo Mozart sich wirklich Zeit nahm, aus der Tradition heraus ganz explizit neue Akzente zu setzen, lassen sich Instrumentalsätze „logischer“ erfassen – berühmte Beispiele sind die sogenannten Haydn-Quartette, Streichquartette wie KV 421 mit höchstem, im engeren Sinne kunstvollem Anspruch, wo er spürbar versuchte, seinem Lehrmeister intellektuell und weniger impulsiv auf Augenhöhe zu begegnen. Sobald aber das atmosphärisch Klangliche und theatralisch-szenisch Gedachte wieder dominiert, nimmt das rational Erklärliche wieder ab – wie in den Streichquintetten.

SMT von Sonnabend bis zum 6. August

Titel: „Hi.Mozart“

Ein Phänomen steht in diesem Jahr im Mittelpunkt der Sommerlichen Musiktage: Mozart. Nach Beethoven und Schubert setzt Oliver Wille in diesem Jahr die Reihe der Porträts derjenigen Komponisten fort, die wie kaum ein anderer für die Musik stehen, die man gemeinhin mit dem Wort Klassik bezeichnet. Die 78. Sommerliche Musiktage Hitzacker laufen unter dem Titel „Hi.Mozart“ vom 29. Juli bis zum 6. August. „Erst Beethoven, dann Schubert, jetzt soll es Mozart sein. Ja, wir wagen uns an den Komponisten heran, den wir alle so gern haben, unendlich bewundern und vor dem wir zuweilen erschrecken …“, so Intendant Wille.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert