Elektroakustisches Auftragswerk: Clemens von Reusner und Schubert
tj Hitzacker. „KRENE“, wie Clemens von Reusner, hiesiger Komponist elektroakustischer Musik, sein neues Werk nennt, „KRENE“ steht im Altgriechischen für eine „von Menschenhand eingefasste, ummauerte oder anders geschützte Wasserentnahmestelle“. Insoweit dieser Werktitel die Rolle beschreibt, die Schuberts Klaviersonate B-Dur (D 960) für die neue Komposition von Reusners spielt, die Rolle nämlich einer Quelle, gibt er auch – eine mögliche – Antwort auf die Frage danach, in welchem Bezug Franz Schubert und elektroakustische Musik von heute zueinander stehen könnten: Ein altes, auf spezifische Weise geformtes Werk liefert Ressourcen für ein auf eine andere Weise geformtes Neues. „Was wäre also heute, im Jahr 2021 für mich dazu oder damit zu sagen?“
Clemens von Reusner hat einige Erfahrung damit, Kunstwerke anderer in seine Musik zu transformieren – so zu transformieren, dass die Anreger-Werke in seinen aufgehoben sind. Aufgehoben im dreifachen Sinn: bewahrt, auf eine neue Stufe gestellt und aufgelassen. Wobei Letzteres natürlich, im Fall Schubert zumal, nur in Bezug auf aktuelles Komponieren gemeint ist. Bis dato beziehen sich solche Kompositionen von Reusners auf Werke anderer künstlerischer Disziplinen. Die musikalische Bezugnahme auf ein Werk eines anderen Komponisten allerdings sei „deutlich schwerer, weil es um dasselbe Medium, nämlich den Klang geht. Zumal, wenn es sich nicht um eine Kontrafaktur oder eine Parodie handeln soll, die sehr nahe am Original bleibt“, heißt es in einem Notat des Komponisten zu „KRENE“.
Doch auch in dem auf ein musikalisches Werk bezogenen „KRENE“ geht es darum, „strukturelle oder ästhetische Besonderheiten zu erkennen und fruchtbar zu machen für die eigene Komposition“. Den historischen Abstand zum Original wolle und könne er dabei nicht einebnen. Zu diesen Momenten der B-Dur-Sonate, auf die er sich in „KRENE“ beziehe, gehöre „Schuberts ganz eigene Umgangsweise mit der Sonatenform“, die „immer wieder überraschenden Brüche und Abweichungen innerhalb der formalen Proportionen“, beschreibt von Reusner. Dass Schuberts Werk „weniger eine Verarbeitung thematischer Gebilde ist als eine Geschichte von klanglichen Vorgängen, von Klangprozessen, wo einer aus dem anderen hervorgeht“, schaffe eine starke Verbindung zum kompositorischen Denken in der elektroakustischen Musik. Unter anderem, so Clemens von Reusner, habe er ausloten wollen, „inwieweit ich Aspekte der von Schubert verwendeten Sonatenform aufgreifen, mich ihr annähern kann.“
Seinen Blick auf Schuberts Sonate beschreibt Clemens von Reusner wegen der „sehr präsenten zeitlichen“ Distanz von fast 200 Jahren „fern, unscharf wie flimmerndes Licht an einem heißen Tag“. Entstanden sei letztlich ein Werk, das einem großen, weißen Blatt vergleichbar sei, in der Mitte vielleicht ein Foto einer Landschaft, eine Partitur oder eine abstrakte Grafik … „KRENE“, so Clemens von Reusner, wolle darstellen, „was über die Vorlage in der Mitte hinausgeht.
Was zeigt die Vorlage nicht? Wie und wohin geht es weiter? Ich knüpfe an Bekanntes an, füge Neues hinzu, ich imaginiere und formuliere Möglichkeiten dessen, was auch sein könnte … Schuberts Sonate scharf und klar im Fokus und doch uneinholbar fern.“