Technisches Wunderwerk

In Schnega steht Deutschlands größte Privatorgel

bv Schnega. Er war ein echtes Universalgenie und hatte die richtigen Freunde: Trotzdem ist der 1967 in Schnega verstorbene Künstler Hugo Körtzinger zu Lebzeiten nie so richtig bekannt geworden. Zwei Punkte aber wirken bis heute nach: Er war eng mit Ernst Barlach befreundet und hat geholfen, bedeutende Werke des Bildhauers vor der Zerstörung durch die Nazis zu bewahren. Und er hat die größte private Orgel Deutschlands hinterlassen – in seinem Atelier in Schnega. Die Orgel ist auch jenseits der schieren Größe von über 2 000 Pfeifen eine bauartlich bedingtes „technisches Wunderwerk“, wie der Großneffe Hugo Körtzingers, der Kieler Professor für Meereschemie, Arne Körtzinger (59), begeistert berichtet. Unlängst stellte der Nachfahre das ganz besondere Instrument während der „Tage des offenen Denkmals“ einem interessierten Publikum vor.

Prof. Dr. Arne Körtzinger, der jugendlich und vital auftritt, bewahrt das Erbe seines vielseitigen Großonkels nicht nur, er erweckt es zu neuem Leben, indem er diese besondere, elektropneumatische Orgel regelmäßig warten und spielen lässt.

Die eigenwillige Orgel ist nämlich eine Mischung aus barocker und romantischer Orgel. Beide Musikstile klingen jeweils perfekt auf der Orgel, erläutert Körtzinger. Das hänge mit den Vorlieben seines Großonkels für eben diese beiden Stile zusammen.

Jede der Pfeifen sitzt jeweils auf einer Windlade. Damit die einzelne Pfeife anspricht, muss die Taste gedrückt werden. Über ein Kabel wird ein Impuls gesendet. Ein kleines Magnetventil wird geöffnet, die Pfeife klingt. Es gibt über 2 000 Kabel, die mit über 2 000 kleinen Ventilen verbunden sind – eine Bauweise, die in der späten Romantik entwickelt wurde.

Körtzinger öffnet eine Art Schrank, in dem mehrere große abgeknickte Pfeifen zu finden sind. „Sie waren zu lang, hätten nicht mehr in den Raum hineingepasst. Um sie dort unterzubekommen, wurden sie abgeknickt, wie ein Ofenrohr. Sie klingen wie die anderen auch, das beeinträchtigt den Gesamtklang in keiner Weise“, erläutert Körtzinger.

Ab 1931 war Körtzinger Bordmaler auf den Kreuzfahrtschiffen des Norddeutschen Lloyd. Er lernte dort Schriftsteller, Schauspieler, Ärzte kennen, wohlhabende Prominente. Unter ihnen war Hermann Fürchtegott Reemtsma – ein schwerreicher und äußerst kulturinteressierter Unternehmer, der sich mit Körtzinger eng anfreundete. Der Mann aus Schnega wurde Reemtsmas künstlerischer Berater. „Das waren zwei sehr kultursinnige Menschen, die lebenslange Freunde wurden“, betont Arne Körtzinger. Reemtsma zeigte sich großzügig: „Mein Großonkel wurde reichlich entlohnt für seineTätigkeiten“, heißt es. Reemtsma, der die Zigarrenmanufaktur seines Vaters zum größten Zigarettenkonzern Deutschlands ausbaute, finanzierte unter anderem Körtzingers gigantische Orgel – in Kriegszeiten ein ungeheures, gleichsam wahnwitziges Unterfangen,da sämtliches Metall von den Nazis beschlagnahmt wurde. Körtzinger wurde auch Patenonkel des erstgeborenen Sohns von Reemtsma. „Und dieser Sohn hielt uns ebenfalls die Treue. Er ist leider vor einigen Jahren verstorben“, berichtet Körtzinger. „Er war häufig in Schnega zu Gast. Und hat die Restaurierung der Orgel mit einem großzügigen sechsstelligen Betrag gefördert. Ohne dieses Geld hätten wir das Instrument niemals wiederherstellen können“, berichtet Körtzinger über das Instrument, welches ab 1937 vom berühmten Orgelbauunternehmen Walcker erbaut wurde. Bis 1948 wurde sie zur „vermutlich“ größten Privatorgel Deutschlands ausgebaut. „Orgelbauern und sämtlichen Organisten, die hier auftreten, ist keine größere bekannt“, betont Körtzinger.

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