Theater „Traumschüff“ ankerte vor Dömitz und Rüterberg

Albtraumhaftes vor Traumkulisse

bv Dömitz. Volkstheater im besten Sinne bietet die Crew vom „Traumschüff“, einem Theaterkollektiv mit seiner „Genossin Rosi“, dem selbst entwickelten Wohn-Spielfloß. Zu neunt sind sie auf Tour über Elbe, Havel und andere Flüsse. „Sie holen die Menschen da ab, wo sie sind: vor Ort, und mit ihren Erinnerungen. Und sie bieten hinterher ein Gespräch an über das, was die Besucher zuvor auf der Bühne erlebt haben“, lobte eine Zuschauerin nach der Aufführung in Dömitz. „Dies ist einer der schönsten Plätze, wo wir überhaupt Theater spielen können“, berichtete Myriam Oosterkamp, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, angesichts der kleinen Bucht an Dömitz‘ ehemaligem Fähranleger. Die Atmosphäre in der wildromantisch mit Schilf und Weiden bewachsenen Bucht könnte idyllischer kaum sein: Ein sanfter Wind streicht über die Elbe, Wolken schirmen die heiße Abendsonne gnädig ab, die Dömitzer Brücke in Sichtweite. Wäre da nicht das nervtötende Wummern trashiger Technobeats, eine Bucht weiter. Aber so ist das, „die jungen Menschen wollen ja auch feiern“, seufzt Oosterkamp.

120 Gäste haben sich am Freitagabend eingefunden, um das Stück „Treue Hände Teil 2“ zu sehen – ein kleiner Rekord für das Team, 50 hatten sich im Vorfeld angemeldet – alles kein Problem, jeder bekommt einen Stapelsessel vom Kulturverein LuK gestellt. Die Position der Zuschauer am schrägen Deich: unbequem, und damit genau richtig für das faszinierende Stück aus der Feder der jungen Autorin Nikola Schellenschmidt – auch sie reist mit dem Kollektiv mit, trotz Baby, sie schläft im VW-Bus am Ufer.

In dem Stück geht es um die Zeit vor 30 Jahren, um die Hoffnungen, gefolgt von Enttäuschungen, die Goldgräberstimmung und Zukunftsangst, als die ostdeutsche Wirtschaft neu organisiert wurde – oder schlicht deindustrialisiert, je nachdem, wen man fragt. Für viele ein Albtraum, wurde ihre Zukunft doch regelrecht zerschlagen. Den Stücken liegt eine Interviewserie zugrunde, und die Autorinnen haben sehr genau zugehört. Gitti versucht ehrgeizig, sich in dem neuen System einen Platz zu erarbeiten – während ihr Freund Dirk für den Sozialismus und ihre beste Freundin Sylvia um ihren Arbeitsplatz kämpft. Dass Gitti nun auch noch einen Job bei der Treuhandanstalt annimmt, stellt ihre Beziehung auf eine Zerreißprobe. Die Fortsetzung gab es Sonnabend in Rüterberg. Zu der Aufführung kamen sogar über 150 Zuschauer, neuer Rekord. Nun liegt der Treuhand-Komplex lange zurück und der Eindruck drängt sich auf, dass wir es mit einer Art pädagogischem Zeigefinger-Theater zu tun haben könnten. Dem ist mitnichten so. Das Ganze ist verpackt in wunderbar witzige Dialoge und teils satirisch heftig überzeichnete Charaktere. Die Schauspieler/innen, Maike Kopka-Kleinfelder, May-Britt Klenke und Jannik Mioducki, liefern Glanzleistungen ab – das Trio spielt insgesamt 15 Rollen, die in ihrer Zuspitzung erkennbar machen, worum es ging und geht. Ein sehr unterhaltsamer, aber auch sehr ernster Abend.

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