Papierfabrik wird zum Erlebnis- und Erinnerungsort
rs Neu Kaliß. Wer sich von Süd-Westen auf der B?191 dem Ort Neu Kaliß nähert, dem fällt rechter Hand längs der Elde ein großer, aus mehreren Teilen bestehender Gebäudekomplex auf: die ehemalige Papierfabrik, wo viele Menschen aus der Region zwischen 1872 und 1995 fast durchgehend Arbeit fanden, lebten, feierten, ja sogar warm badeten. Die Fabrik war, so wie die neue Papierfabrik im Industriegebiet Heiddorf jetzt, wirtschaftliches Zentrum, erfüllte aber auch jene vorgenannten sozialen Funktionen. Eine der drei Teilflächen hatte der Möllner Hans Jürgen Lenz vor etwa 21 Jahren erworben, hatte dort vieles vor. Letztlich wurden die Gebäude, zu denen das Pförtner-, das Kontor- und das Torhaus sowie das Fabrikgebäude „Piko“ auf der Eldeinsel gehörten, aber überwiegend als Lagerräume genutzt.
Doch das einzigartige Denkmal der deutschen Industriegeschichte soll nicht verfallen. Seit Sommer kümmern sich die Berliner Cora Geißler und Günter Oldiges mit dem vielköpfigen Freundeskreis Eldetal mit Sachverstand und Herzblut um das rund 16?000 Quadratmeter große Areal, das die Oldiges Geißler GbR Lenz im November abkaufte. „In den vergangenen Monaten haben wir zunächst grundlegende Räumungs- und Notsicherungsarbeiten vorgenommen, um weiteren Schäden vorzubeugen“, berichten Oldiges, ein Berliner Spezialist für Altbausanierungen, und Geißler, ehemals Filmausstatterin und nun erfolgreiche Händlerin für Lastenräder, bei einem Rundgang. Bei diesem wird für den, der Ende September bei den „Tagen der Industriekultur“ dort zu Gast war, offensichtlich, dass sich an der alten Papierfabrik enorm viel getan hat. „Aber es sind auch viele weitere Schäden offenkundig geworden“, so Oldiges. Besonders bedauerlich: Viele hätte man mit einfachen Maßnahmen vermeiden können etwa mit dem Schnitt des mächtig gedeihenden Efeus oder dem regelmäßigen Reinigen der Dachrinnen. So fand über Jahre Regenwasser mit entsprechenden Folgen Schwamm, Pilze, Fäulnis seinen Weg.
An der Zielsetzung der GbR und des Freundeskreises ein Verein soll noch gegründet werden ändert sich dadurch nichts: Sie wollen das Denkmal erhalten, es revitalisieren und nutzen als einen lebendigen Ort der Begegnung mit Ateliers, Werkstätten und Tagungs- und Übernachtungsmöglichkeiten, für Festivitäten aller Art, für Theater, Musik und kleinere Festivals, als Co-Working-Space. Letztlich soll sich das Projekt, das auch als Zentrum des neuen Arbeitens auf dem Lande zu verstehen ist, selbst tragen.
Ganz wichtig für uns ist es dabei, die ortsansässige Bevölkerung mitzunehmen, das bislang geschlossene Areal für sie zu öffnen, zu beleben und wieder in die Ortsstruktur aufzunehmen, unterstreicht Geißler, die derzeit ein dezidiertes Denkmalschutzkonzept erstellt und sich gemeinsam mit Oldiges um Fördermittel bemüht. Denn: Die historische Substanz soll weitestgehend erhalten bleiben. Die Geschichte des Areals, die weiter aufgearbeitet wird so sucht man für einen Film noch ehemalige Mitarbeiter und Bewohner der Anlage spiele eine entscheidende Rolle in der Gesamtkonzeption. Und: Auch kommende Generationen sollen über möglichst viele Nutzungsmöglichkeiten verfügen. Der Grundsatz Reparatur des Bestehenden statt Ersatz unterstütze dabei den Nachhaltigkeitsgedanken. Die Vergangenheit des Ortes soll ablesbar bleiben, jedoch nicht im Sinne eines Museums. Diese Aufgabe sei in Alt Kaliß bereits vergeben.
Wie es in nicht allzu weiter Zukunft dort aussehen könnte, lässt sich mit etwas Fantasie bereits im mittlerweile entkernten und gereinigten Kontorhaus, das mit Kassettendecken, korinthischen Säulen und Rundfenstern ausgestattet ist, erahnen. Hier entsteht der Kultursaal, berichtet Geißler. In diesem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Papierfabrik sollen wie in der ,Piko eines Tages Messen, Festivals und Ausstellungen stattfinden. Am 26. August wird hier die Hamburger Band Mischpoke Klezmermusik spielen.