Giesela und Gerhard Weinlich, ehemals aus Hitzacker, feierten Gnadenhochzeit
bv Hitzacker. Menschen, die 70 Jahre lang verheiratet sind, haben die meiste Zeit ihres Lebens gemeinsam verbracht. Der Begriff Gnadenhochzeit rührt daher, dass den Eheleuten Gottes Gnade zuteil wird, die ihnen nicht nur eine harmonische Ehe, sondern auch ein langes Leben beschert hat.
Das gemeinsame Leben von Giesela und Gerhard Weinlich begann allerdings schon vor 71 Jahren – 1949. Die frisch Verliebten tanzten damals zu Rudi Schurikes Schlager „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt …“, im Café Edelweiß, in Wittenberge an der Elbe. Am 4. Dezember 1949 verlobten sich die damaligen Kollegen – und nach der seinerzeit üblichen Wartezeit von einem Jahr gaben sie sich am 11.11.1950 um 11.11 Uhr in Remscheid das Jawort. „Die närrische Uhrzeit war wohl eher Zufall“, berichtet Tochter Andrea, eines von zwei Kindern der Weinlichs – sie hat noch den älteren Bruder Volker. Heute lebt das Paar in der Seniorenwohnanlage in Norderstedt. Aber Jahrzehnte ihres Lebens verbrachte die Familie in Hitzacker.
Wie schafft man es, 70 Jahre lang verheiratet zu bleiben? „Man muss für alles Verständnis haben und mit Liebe handeln“, sagen die beiden wie aus einem Mund. Beide sind heute 93 Jahre alt. Giesela Weinlich wurde am 5. September 1927 in Stettin geboren, Gerhard kam sechs Tage vorher in Wittenberge/Elbe zur Welt. Beide entstammen Großfamilien. Die spätere Braut hat sieben Schwestern und vier Brüder, ihr späterer Mann vier Brüder und eine Schwester – ständige Übung in Toleranz inklusive.
Weil die Wehrmacht ihn einzog, musste Gerhard das Gymnasium abbrechen. Giesela lebte mit ihrer Familie zu der Zeit in Polchow bei Stettin. Als 18-Jährige flüchtete Giesela mit ihrer Familie bei Kriegsende vor der Roten Armee nach Wittenberge/Elbe. Wo sie vier Jahre später, im Café Edelweiß, auf ihr großes Glück traf. Mit Gerhard meisterte sie die oft schöne, aber auch herausfordernde Zeit, die folgte. Schon vor der Heirat zog das Paar in den Westen, nach Remscheid. Dort bestand Gerhard Weinlich die Meisterprüfung im Elektrohandwerk, es wurde geheiratet und Sohn Volker wurde geboren. 1954, als Gerhards Vater starb, gingen sie zurück nach Wittenberge/Elbe, um das familiengeführte Fachgeschäft mit Werkstatt zu übernehmen. Doch in der DDR wurden sie nicht mehr heimisch und fühlten sich auch nicht wohl. 1961 flüchteten sie, kurz bevor die Mauer gebaut wurde – mit Sohn Volker – zurück in den Westen. Was allerdings beinahe nicht gelang. Tochter Andrea berichtet: „Die geplante Flucht wurde verraten. Meine Eltern wurden von der Stasi verhört und gegeneinander ausgespielt. Aber dann tricksten sie ihrerseits die Stasi aus.“ Sie erzählten den Beamten beim Verhör, dass sie nur von Berlin zur Messe nach Leipzig fliegen wollten, um mal zu fliegen, statt einfach mit dem Auto nach Leipzig zu fahren. Sie bestiegen aber das Flugzeug nach Hamburg, wo Gerhards jüngster Bruder sie empfing.
Für den Neustart im Westen hatten sie nur das, was sie bei der Flucht tragen konnten. Von Hamburg kamen sie dann nach Hitzacker. Dort, diesmal auf der Westseite der Elbe, bauten sie sich eine neue Existenz, ein neues Leben auf. Gerhard Weinlich gründete eine Firma und machte sich als Elektromeister selbstständig. Giesela Weinlich führte den Laden, Tochter Andrea wurde geboren. Parallel zu dem Elektrogeschäft übernahm die gelernte Kauffrau noch einen Otto-Versand-Shop, den sie später ausschließlich und sehr erfolgreich bis zum Renteneintritt betrieb. Als ihr Mann einen Arbeitsunfall erlitt, gab er die Selbstständigkeit auf und wurde leitender Handwerksmeister bei Peter Schneeberg. Eine Leidenschaft der Familie war das Campen: Immer wieder zog es sie zum Camping an die Ostsee, nach Grömitz. Im Winter ging es zum Skilaufen nach Österreich. Zu Hause in Hitzacker war Geselligkeit im Kegelverein angesagt. Vater Gerhard war auch Mitglied der Schützengilde Hitzacker.
Kurz vor der Jahrtausendwende gaben die Senioren ihr Haus in Hitzacker auf und zogen in die Nähe zu Tochter und Sohn – beide haben jeweils zwei Töchter bekommen – nach Schleswig-Holstein. Fast 20 Jahre lebten sie dort mit doppeltem Familienanschluss, bis sie vor zwei Jahren eine barrierefreie Wohnung im Pöhlshof in Norderstedt beziehen mussten. Dort, wo sich Teile der engeren Familie zur Gnadenhochzeit versammelten. Die jüngste Enkeltochter Melissa (20) ist seit Sommer 2019 in den USA in Kalifornien und wurde per Skype dazugeschaltet. „Meine Eltern sind sehr stolz auf ihre vier Enkeltöchter und haben alles für sie gemacht und machen es immer noch, soweit gesundheitlich möglich. Meine Eltern hoffen auch sehr, dass sie ihre vier Enkeltöchter noch ein paar Jahre begleiten dürfen und die Gesundheit mitspielt“, berichtet Tochter Andrea.
Es war ein zufriedenes, erfülltes Dasein, sagen die Jubilare von sich selbst – was für eine schöne Bilanz eines aufregenden Lebens.