Gräben als Lebensraum

Serie Wasserhaushalt: von Ausbreitungskorridoren

lk Bergen. Lesen Sie heute in Teil II unserer Serie Wasserhaushalt in Zusammenarbeit mit der Ökologischen Station Wendland-Drawehn in Bergen: Gräben als Lebensraum.

Ein angestauter Graben kann mehr als nur zum Wasserrückhalt beitragen. Im Vergleich zu einem trocken gefallenen Graben ist dies am auffälligsten an der Vegetation zu erkennen. Deutlich weniger offensichtlich sind dagegen die Veränderungen bei den Insekten, obwohl sie die arten- und individuenreichste Gruppe im und am Gewässer sind. Bestäubende Insekten wie Bienen, Schmetterlinge oder auch Käfer sind vielen bekannt. Den größten Teil der Insektenfauna am und im Gewässer machen jedoch wassergebundene Insekten wie Köcher-, Stein- und Eintagsfliegen oder auch Libellen aus. Letztgenannte kennen die meisten als geschickt fliegende und farbenfrohe Luftakrobaten. Jedoch wissen die wenigsten, dass die Mehrheit der hiesigen Libellenarten als Larven den Großteil ihres Lebens im Wasser verbringen. Je nach Gewässertyp und Wassertemperatur kann die Larvenphase bei einigen Arten sogar bis zu fünf Jahre betragen, bevor die Libelle aus dem Wasser krabbelt, um vor ihrem Jungfernflug festgeklammert an der Vegetation aus der letzten Larvenhaut schlüpfen zu können.

Für Libellen sind Gräben daher ein überlebenswichtiger Ort zum Aufwachsen, aber auch zum Jagen, Balzen, Fortpflanzen oder auch Ruhen. Sie gelten zudem dank ihrer sehr mobilen adulten Phase als ein guter Indikator für die Neubesiedlung von Gewässern – und daher auch für den Klimawandel. So wird seit Jahren publiziert, wie sich die Verbreitung der kälteangepassten Arten weiter nordwärts oder in höhere Lagen verschiebt. Gleichzeitig etablieren sich in der Region ehemalige mediterrane Arten, wie beispielsweise die Feuerlibelle, welche etwa in den 1980er-Jahren anfing, sich im süddeutschen Raum fest anzusiedeln, und heute bereits in Südschweden fliegt. Deutlich schwieriger gestaltet sich die Situation allerdings für die bundesweit besonders seltene und stark bedrohte Vogel-Azurjungfer. In den Gräben im südlichen Kreisgebiet hat sie ihr niedersachsenweit größtes Vorkommen und zusammen mit dem Vorkommen in der nördlichen Altmark einen der größten zusammenhängenden Verbreitungsschwerpunkte in Deutschland.

Das Wissen über das Vorkommen der Vogel-Azurjungfer und weiterer seltener, gefährdeter Libellen im Landkreis ist Eva und Wulf Kappes aus Hamburg zu verdanken. Seit über drei Jahrzehnten investieren sie ehrenamtlich viel Zeit und Herzblut in die Kartierung der Libellen. „Dank ihrer Artenkenntnis, ihres ökologischen Wissens und Engagements kann der amtliche Naturschutz auf einen Datenschatz zurückgreifen, der heute sowie in Zukunft zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt erheblich beiträgt“, äußert sich Bastian Gülstorf von der Ökologischen Station.

Jedoch wird die Vogel-Azurjungfer bei anhaltend geringen Niederschlägen in den kommenden Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Region verschwinden, da sie fast ausschließlich an leicht fließenden kalkreichen Gräben und Bächen lebt und diese seit Beginn der Dürre drohen trocken zu fallen oder bereits ausgetrocknet sind. Ein Anstauen der besiedelten Gräben würde der Vogel-Azurjungfer hingegen nicht helfen, denn dadurch würden Stillgewässerarten gefördert werden, welche auf lange Sicht Fließgewässerspezialisten wie die Vogel-Azurjungfer verdrängen würden. Allerdings gibt es durch das Anstauen der Gräben auch Profiteure, wie etwa die Südliche Mosaikjungfer, ursprünglich wie die Feuerlibelle nur aus dem Mittelmeerraum bekannt. Sie gilt dort als Spezialist für im Sommer trocken fallende Gewässer, denn sie legt ihre Eier nicht wie bei anderen Libellenarten üblich direkt ins Wasser ab oder sticht sie in die Vegetation, sondern bevorzugt in feuchten Schlamm am Gewässerrand. Dass diese Art auch in Gräben ein geeignetes Habitat findet, war bisher kaum bekannt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert