Klangreisen in das Reich der Ballade

Albrecht Mayer leitet zum vorletzten Mal Musikwoche

tj/jj Hitzacker. „Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußeren Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurücklässt, um sich dem Unaussprech­lichen hinzugeben.“ So beschreibt E.T.A. Hoffmann das romantische Verständnis der Tonkunst. Dementsprechend spielt die Musik in den schriftstellerischen Werken Hoffmanns, der auch Musiktheoretiker und Komponist war, wie auch bei anderen Romantikern eine wichtige Rolle – und umgekehrt ist die Ideenwelt der romantischen Literatur eine der wichtigsten Impulse für die Musik des beginnenden 19. Jahrhunderts. Musik, so Hoffmann, sei die „romantischste aller Künste“ .

Aus diesem Verständnis von Musik ist auch das Genre der Ballade entstanden. Sie ist, in ihren Ausprägungen als Vertonung einer konkreten literarischen Vorlage oder als auf einen Text, meist ein Gedicht, bezogene rein instrumentale Darstellung, Thema der 36. Musikwoche Hitzacker, die am Freitag, dem 6. Mai – noch vor der feierlichen Eröffnung am Sonnabend durch den Künstlerischen Leiter –,mit dem Konzert der kubanischen Pianistin und Komponistin Marialy Pacheco sowie dem deutschen Sänger und Songwriter Max Mutzke beginnt.

Die 36. Auflage der Musikwoche ist die vorletzte, deren Programm (siehe folgende Seite) von Albrecht Mayer, dem Solo-Oboisten der Berliner Philharmoniker, gemeinsam mit dem Dramaturgen Markus Bröhl gestaltet wird, mit dem Ende des Festivals 2023 endet die dann achtjährige Amtszeit Mayers. Mit „Balladen“ knüpft die Programmatik an die sechs vergangenen Festivals an.

Was die Ballade ausmacht – vom einstimmigen Tanzlied im Mittelalter bis zur eigenständigen musikalischen Gattung, welche Wege Komponisten von Franz Schubert bis Gustav Mahler in dem Genre gegangen sind, war bereits in einem ersten Konzert des Festivals mit dem Bariton Benjamin Appl und dem Pianisten Kit Armstrong im März zu erleben; ihr Auftritt war der einzige, der die coronabedingte Verschiebung des zunächst für den März geplanten Musikfestes nicht mitmachen konnte.

Ballade, sagt Musikwochen-Dramaturg Bröhl, sei ein „typisch romantisches Thema, das bis heute ausstrahlt“. Auch in die zeitgenössische E-Musik, die allerdings, anders als die populäre (Abendkonzerte am 6., 11. und am 12. Mai), im Programm außer mit Alfred Schnittke (Abendkonzert 8. Mai) keinen Platz gefunden hat. Die Balladen-Moderne ist mit Musik von Ysaÿe (Matinee am 8. Mai) sowie Benjamin Britten und Ernest John Moeran (Abendkonzert 8. Mai) vertreten. Die Ballade sei für Bröhl „schon immer ein Thema gewesen, das ich bearbeiten wollte.­ ­Literarisches mit Musikalischem zu verbinden, das ist etwas, was ich gerne mache und auch immer getan habe.“

So steht etwa die Klavierballade, in der Lyrik „in freie Fantasien, in denen die Stimmung instrumental eingefangen wird“ verwandelt wird, im Mittelpunkt, wenn Mario Häring am 9. Mai zwei zentrale Werke dieser Gattung spielt, die Balladen Nr. 1 bis 4 von Brahms und Chopins Balladen Nr. 1 bis 4 – in dieser Kombination nicht häufig zu hören. Auch in einem Rezitationskonzert mit Hinrich Alpers (Matinee am 14. Mai) geht es anhand von Musik Griegs um diese Ausprägung des Genres Ballade, speziell in Skandinavien – mit Erläuterungen. Das Programm ist auch für Randbereiche und verwandte Genres offen, sodass auch eine Bach-Kantate (Gesprächskonzert 14. Mai) und Flötenmusik (nicht nur) der Renaissance (Matinee am 15. Mai) ihren Platz finden. Auch symphonische Musik steht auf dem Programm – am Sonnabend, dem 7. Mai, wenn die ukrainische, vielfach preisgekrönte Violinistin ­Diana Tishchenko mit den von Albrecht Mayer dirigierten New Mozart Players (Mitglieder der Berliner Symphoniker) Musik von Mozart und Beethoven spielt. Die auf der Krim geborene und in Kiew aufgewachsene Künstlerin engagiert sich derzeit intensiv für in Not geratene Menschen in und aus ihrem Heimatland. In Hitzacker tritt sie gleich mehrfach auf. So wird sie gemeinsam mit Albrecht Mayer und dem Orchester The New Mozart Players das Eröffnungs­konzert am Sonnabend gestalten, und ist zudem in einer Matinee am Sonntag sowie im Kammerkonzert „Fantasien“ am selben Nachmittag mit Albrecht Mayer, der Bratschistin Liisa Randalu und dem Cellisten István ­Várdai. Ein Interpretenportrait rundet ihre Präsenz in Hitz­acker ab. Im Anschluss an die Matinee „Chaconne“ (Sonntag, 8. Mai, ab 11 Uhr) will sich Diana Tishchenko zudem mit aus der Ukraine Geflüchteten im Foyer des Verdo für eine Gesprächsrunde treffen. Der Eintritt zu diesem Konzert ist für die Flüchtlinge gratis. Die Freikarten liegen an der Konzertkasse bereit. Bei einer größeren Gruppe bitten die Veranstalter um Anmeldung über das Festivalbüro.

Auch starke Stimmen finden sich im Repertoire des diesjährigen Programms: So wird die Sopranistin Katharina Konradi, regelmäßig zu Gast auf Europas großen Opern- und Konzertbühnen, Emotionen, Stimmungen und Genres zu einer kontrastreichen, balladesken Abfolge verbinden. Im traditionellen Gesprächskonzert ist der Bariton ­Timothy Sharp bei Johann ­Sebastian Bachs Kantate „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ zu hören. Im Konzert „Balladen, die von Liebe sprechen“ mit dem Blockflötenensemble Flautando Köln geht es um große Gefühle, verzehrende Hingabe, glühende Leidenschaft, Trennung und Wiedersehen sowie Eifersucht und Treueschwur. Auf Jazzklänge können sich Besucherinnen und Besucher in einem Konzert mit dem Ellingtones Trio sowie einem Crossover-Abend mit dem Cellisten Eckart Runge und Pianisten Jacques Ammon freuen.

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