„Warum darf man nicht Gabi zu Ihnen sagen?“

Und wie sind Sie ins Wendland gekommen? Interview mit der preisgekrönten Musikerin Gabriele Hasler

bv Groß Heide. Gabriele ­Hasler erkundet den Grenzbereich zwischen Musik und Sprache. Für ihr neues Album „Von Herden und anderen Büscheln“ wurde die Ausnahmekünstlerin mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Aus der Begründung der Jury: „Gabriele Hasler ist Hirtin, ­Jägerin und Köchin zugleich, ihr geht kein Laut flöten. ­Namen werden Schall und Hauch, Worte durch den ­Vokalwolf gedreht, mit Konsonantenschleifer bearbeitet und durch Wiederholung, Weglassung oder Nachwürzen versinnlicht. Was sie in Wikipedia-Wortstrecken vorfindet, aus Vokabelheften ­rezitiert oder den Vögeln vom Schnabel abliest, nennt sie ‚Höricht‘. Minimale Interventionen erzeugen aus Sprache Melodien, aus Gesang Geräusch und umgekehrt.“ Kiebitz-Redakteur Björn Vogt durfte Gabriele Hasler in ­ihrem Garten in Groß Heide einige Fragen stellen.

Frau Hasler, alle Ihre Freunde nennen Sie Gabriele. Warum darf man nicht Gabi sagen?

Das darf man, aber das gefährdet die Freundschaft! (lacht). Im Ernst: Eine gute Frage! Es ist eher ein Joke und im Grunde ganz einfach: Ich bin Gabriele getauft. Meine Eltern nannten mich Gabi. Aber dann kam die Zeit auf dem Mädchengymnasium. In meiner Jugend, ich bin Jahrgang 1957, war Gabriele ein häufiger Name, wir hatten allein vier Gabis in der Klasse. Um uns zu unterscheiden, wurden wir mit dem Nachnamen gerufen. Die Hasler. Das gefiel mir nicht. Aber der Klang von Gabriele – der ­gefiel mir gut. Mir fiel auf: Wenn du Vornamen verkürzt, Hansi, Susi, das kannst du mit Kindern machen, oder mit Wellensittichen. Es hat was Niedliches, Verkleinerndes. Die Gabi in irgendeinem Groschenroman – das ist nicht die Staatsanwältin. Im Scherz sage ich immer: So viel Zeit muss sein – Gabriele. Das wird sonst auch so eng! Gabiiii. Nee!

Sie haben unter anderem am Berklee College of Music in Boston studiert. Wie kam es dazu?

Damals konnte man in ganz Europa keinen Jazz-Gesang studieren! Das heißt, es begann gerade zaghaft mit Jazz, in Graz und Köln, aber ohne Gesang. Ich war damals mit dem Schlagzeuger und Modern-Jazz-Komponisten Jörn Schipper zusammen, wir sind gemeinsam dort hingegangen, 1981, und haben unsere Musiklaufbahnen gemeinsam begonnen.

Darf man folgende Schubladen öffnen: Lebende Legende oder Grande Dame des Jazz? Passt gefühlt beides nicht, ob Ihrer jugendlichen Aura und Temperaments, aber es erscheint angemessen: Sie sind seit fast 40 Jahren aktiv und erfolgreich, traten mit Ihrer eigenen Band Foolish Heart weltweit auf. Sie waren als Solistin an vielen Rundfunk- und Fernsehproduktionen beteiligt, haben mit den Bigbands des SDR, NDR, WDR sowie des Dänischen Rundfunks gearbeitet. Sie haben zahlreiche Schallplatten veröffentlicht und sind auch als Komponistin tätig.

Jörn und ich haben damals Stipendien bekommen, das Studium in den USA war sehr teuer. Ich hatte vorher Musik und Deutsch auf Lehramt in Bremen studiert. Ich war gut vorbereitet, wurde entsprechend in Berklee eingestuft. Im ersten Teil des Studiums ging es nur um Wissen, Wissen, Wissen. Aber es war eine gute Entscheidung. Es war eine andere Zeit, wir waren mutig. Wir hatten dann gleich schon Anfang der 80er-Jahre künstlerisch viel Erfolg, auch kommerziell. Damals gab es noch stattliche Gagen, wir haben vor 4 000 Zuhörern gespielt. Inzwischen lebe ich eher von meinen Einnahmen als Komponistin von E-Musik, weniger von den Konzerten.

Sie gelten als eine der kreativsten und eigenständigsten Stimmen Europas, schrieb Jazz-Legende Ernst Joachim Behrendt über Sie. 1986 haben Sie als erste Frau den SWF Jazzpreis bekommen und Ihr eigenes Plattenlabel Foolish Music gegründet. Schon Ihre erste Eigenproduktion „God Is A She“ erhielt den Deutschen Schallplattenpreis. Und so ging es weiter. Was ist Ihr Erfolgs­rezept?

Durchhaltevermögen ist wichtig, um Durststrecken zu überstehen. Es gibt einen kleinen Satz in mir, der sagt: „Wenn ich das nicht mache, was ich mache, dann macht es ja niemand – und das wäre ja schade.“ Die Art, wie ich Dinge sehe und forme und zum Ausdruck bringe, ist recht individuell. Das wäre eine Farbe oder ein Ton, der fehlt, wenn ich es nicht mehr machen würde. Und: Jetzt habe ich das schon 40 Jahre gemacht, jetzt werde ich doch nicht aufhören! Hallo? (lacht). Jetzt will ich ernten. Wer weiß, was da noch kommt?

Sie haben gerade für Ihre ­Solo-CD „Herden und andere Büschel“ den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhalten. Was bedeutet Ihnen das?

Natürlich freue ich mich sehr über diese Anerkennung, ­gerade für mein „Orchideen­fach“. Es ist der dritte, den ich bekommen habe. Geld bringt das nicht, ist aber gut fürs ­Renommee.

Sie haben an vielen Orten auf der Welt gearbeitet, unter anderem in den Maghreb-Staaten, in Südasien, der Türkei und in Togo. Wo haben Sie die Jahre vor dem Wendland verbracht, und wie kam es zu dem Umzug in diese für Künstler angeblich sagenumwobene Region?

Ich habe lange in Bremen gelebt und gearbeitet, dort leben auch meine Kinder und Enkel. Aber an einem Punkt wurde mir klar: Es gibt dort praktisch keine Frauen, die Neue Musik machen oder komponieren. Ich war die Einzige! Es gab eine Professorin für Neue Musik, die ging in den Ruhestand. Bei Radio Bremen hatte ich mit der ­Redakteurin für Neue Musik Marita Emigholz eine Fürsprecherin, aber die ging ebenfalls in den Ruhestand, und ihre Stelle wurde nicht nachbesetzt! Ich hatte einfach keine Kolleginnen. Und, was man nicht vermutet, worüber man nicht spricht: Bremen hat auch mit Frauenfeindlichkeit zu tun! Nur ein Beispiel von vielen: Die Jazz-Initiative hat es vor fünf Jahren geschafft, ein dreitägiges Festival mit 90 Beteiligten auf die Beine zu stellen – mit einem Frauenanteil von null. Null!

Zweites Beispiel: Die „Lange Nacht der Musik“ in Oldenburg und Bremen. Die Frauen, die mitarbeiteten, saßen in den Büros oder machten Promo. Aber waren nicht auf der Bühne. Der Frau, die es organisierte, fiel auf, dass keine einzige Frau auf dem Programm stand. Ich wurde dann – gleichsam als Feigenblatt – angefragt, aufzutreten. Honorar könne man aber leider nicht zahlen! Irgendwann entschied ich, nach Hamburg zu wechseln. Denn dort gibt es Frauen, die Musik machen; Frauen, die Bands haben. Für den Austausch unverzichtbar! Es war eine Wohltat. Ich habe dort zwei Jahre gelebt und gearbeitet. Dann aber kam ich darauf, im Wendland auf dem Biohof von Lisbeth und Hans-Christian Lange als Wooferin zu arbeiten. WWOOF.net ist ein weltweiter Verbund von Biobauernhöfen. Das gefiel mir so gut, dass ich entschied, ganz ins Wendland umzusiedeln. Gerade in den Corona-Zeiten ist es auf dem Land viel schöner als in der Stadt. Ich bin bewusst in diese freie Struktur und ärmere Region gezogen. Es ging mir um die Natur, aber auch um die Menschen. Ich finde, es leben hier spannende, interessante Menschen, die, anders, als ich es in Hamburg erlebt habe, durchaus Kontakt ­suchen und sich über Kontakt freuen. Es ist einfach, hier Menschen zu finden, für ­Gespräche, für Spaziergänge, für Besuche.

Sie arbeiten aktuell an zwei spannenden Projekten, unter anderem einem Geräusche-Austausch mit einem hiesigen Komponisten.

Bald nach meinem Umzug ins Wendland kam der erste Lockdown (seufzt). Da rief ich Clemens von Reusner an, den ich gleich am Anfang meiner Zeit hier kennengelernt hatte. Ich hatte die Idee, dass wir uns täglich einen Klang zuschicken, per E-Mail. Aus dem Haus, um das Klaustrophobische des Lockdowns einzufangen. Das haben wir sieben Wochen lang gemacht, ein tolles Projekt. Ich hatte zu Anfang knarrende Dielenbretter, er nahm prasselndes ­Feuer auf. Wir nannten das „Pandemischen Dialog“, den wir demnächst öffentlich aufführen wollen. Wie gut, dass wir hier inzwischen Glasfaser ­haben!

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Redaktion Kiebitz 05841/127 422 vogt@ejz.de

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