Zeitreise mit Brille

AZH: historische Inhalte mit moderner Technik

jk Hitzacker. In dem rekonstruierten Langhaus aus der Bronzezeit riecht es nach Lagerfeuer. Durch das Fenster, das ohne Scheiben auskommt, dringen kühle Luft und spär­liches Licht in den kleinen Raum. Dort auf dem Lehm­boden hat Ulrike Braun, die Leiterin des Archäologischen Zentrums in Hitzacker (AZH), einen modernen Bürostuhl platziert. Ein glatter Stilbruch in diesem 3 000 Jahre alten Ambiente? In Brauns Augen nicht. Denn der drehbare Stuhl hat eine spezielle Funktion: Museumsgäste sollen darauf bequem und sicher Platz nehmen können, wenn sie mit der VR-Brille, über die das Museum seit etwa einem Jahr verfügt, auf Zeitreise gehen. VR ist die Abkürzung für „Virtual Reality“, auf Deutsch: virtuelle Realität. „Nur weil wir prähistorische Inhalte vermitteln, müssen die Vermittlungsstrategien ja nicht auch prähistorisch sein“, sagt Braun. Das Publikum brauche „vielfältige Vermittlungsangebote“. Die VR-Brille sei da ein neuer Weg, um „Leute anders anzusprechen“, erklärt die AZH-Leiterin.

Die Brille erhielt das AZH vor knapp einem Jahr über das Förderprojekt „Virtual Reality – Digitaler Wandel in mittleren und kleinen Museen“. Das Archäologische Zentrum war – wie auch das Museum Hitzacker – eines von 13 Museen, das als Teil des Museumsnetzwerks VR Lüneburg eines dieser Geräte kostenfrei erhielt. Unter Professorin Heike Düselder, die das Museum Lüneburg leitet, hatte das Netzwerk Fördergelder in Höhe von 311 000 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds für das dreijährige Projekt eingeworben. Als Zusammenschluss erhöhten sich die Chancen auf EU-Fördergelder für die 13 kleinen Museen deutlich, erklärt Ulrike Braun die Idee hinter dem Netzwerk.

60 Prozent der Projektkosten konnte der Museumsverbund dann auch über die Fördermittel abdecken. Die restlichen 40 Prozent steuerte das federführende Museum Lüneburg bei. Es finanzierte damit fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem eigenen Haus, die mit der Wuppertaler Firma „twinC“ eine gemeinsame App ent­wickelten, die unter dem Sammelthema „Natur“ einen virtuellen Rundgang durch die 13 beteiligten Museen bietet. Alle 13 Museen haben dazu ihr jeweiliges Fachwissen beigesteuert: Das AZH hat mehrere 180- und 360-Grad-Videos rund um das Thema „Arbeit“ gedreht. Darin lernen die Zuschauenden, wie die Menschen vor 3 000 Jahren ihre Felder bestellten, an einem einfachen Webrahmen Stoffe herstellten und wie sie ganz ohne Feuerzeug oder Elektrizität ihre Herdstelle anheizten. Es sind Filmsequenzen, in denen AZH-Mitarbeitende oder Ulrike Braun persönlich die Arbeitstechniken der Bronzezeit demonstrieren und erklären. Insgesamt biete die VR-Brille „lebendige Führungen“, die „jederzeit abrufbar“ seien. Die Brille ersetzt nicht den physischen Rundgang durch das Museum. Vielmehr vermittele sie den Besucher/innen zusätzliche Hintergrundinformationen, erklärt die AZH-Leiterin deren Vorzüge. Doch auch ein Jahr, nachdem das Archäologische Zentrum die Brille erhalten hat, bleiben im Umgang mit ihr noch Fragen offen und Unsicherheiten zurück: Eine VR-Brille in einem Freilichtmuseum – wie soll das eigentlich genau funktionieren? Bislang können interessierte Besucher die Brille am Kassenhäuschen ausleihen. Sie halte sich aber noch damit zurück, das Gerät in ihrem Haus zu bewerben, und die Reinigung der empfindlichen Linsen übernehme das AZH-Personal ebenso lieber selbst. Werden Besucher/innen auf die Brille aufmerksam, begleite sie der Bundesfreiwillige bei deren Nutzung, indem er erklärt, wie man die auf der Brille hinterlegte App bedient und mit Kopfbewegungen durch den rund einstündigen Rundgang der 13 Museen navigiert. Die Reaktion der Gäste? „Spannend“ und zugleich „viel zu viel“, bekomme Ulrike Braun als Rückmeldung von ihren Gästen.

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