Lieder des Lebens – leben für Gesang

Balladensängerin Gaby Rückert wurde 70 – neue Projekte geplant

rs Zernien. Sie ist seit Kurzem 70 – aber noch kein bisschen leise. Im Gegenteil. Ihre großen ausdrucksstarken braunen Augen scheinen das Waldgrundstück in Zernien zu erforschen. Aber sie blickt auf die Vergangenheit – und sieht zugleich in die Zukunft. Große Energie geht von ihrer zierlichen Gestalt aus, die gleichzeitig Ruhe und Positives ausstrahlt. „Wir haben noch so viel vor“, berichtet Balladensängerin Gaby Rückert mit charmantem Berliner Akzent bei Kaffee und Kuchen. Ihr Hund Tibbi liegt im Schatten unter dem Tisch. Ein Hula-Hoop-Reifen, der regelmäßig genutzt wird, lehnt an der Wand. Mit „Wir“ meint sie ihren Mann, den Sänger, Komponisten und Musikproduzenten Ingo Koster, bereits 71, der ihr gegenüber sitzt. Seit 1987 arbeiten sie zusammen, ein Paar sind sie seit 1988. Für Koster verließ Rückert den Karat-Sänger Herbert Dreilich. 1993 wurde geheiratet. Obschon beide im gesetzten Alter sind, geht von dem Duo Rückert/Koster eine gewisse Jugendlichkeit aus. Neugierde und Erfahrung – beides steht im Zentrum des Gesprächs, das sich locker entspinnt, das Karrierehöhepunkte und Niederschläge sowie Aussichten beinhaltet.

„Ich wollte Berlin nie verlassen“, erinnert sich Rückert, deren Solokarriere 1977 in der ehemaligen DDR begann, nachdem sie zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert und anschließend von 1971 bis 1975 an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar Musik studiert hatte. „Meine Mutter wollte, dass ich Medizin studiere. Aber ich beließ es bei der Berufsausbildung mit Abitur und dem Staatsexamen als Krankenschwester; die Musik zog mich in ihren Bann.“

„Wir lebten in einer Maisonette mit Studio in Treptow/Köpenick.“ Es ging ihnen gut, denn beide waren sehr erfolgreiche Künstler – vor allem Rückert. Mehrfach wurde sie ausgezeichnet, machte Tourneen, war ständiger Gast in den DDR-Hitparaden und bei zahlreichen Festivals. Allein ihr 1980 erschienenes Debütalbum „Berührung“ verkaufte sich 250 000 Mal. Der Titelsong wurde der größte Hit der Sängerin mit der samtweichen, warmen Stimme, die Lieder des Lebens interpretiert.

„Mit der Wende war es für uns Ost-Künstler vorbei“, führt Koster aus. Man habe nun „richtige Künstler“ erleben wollen. Eine dritte 1989 beim Rundfunk produzierte LP Rückerts kam nie auf den Markt. Das Duo steckte ineiner schweren Krise, wurde „nicht mehr gebraucht“: Man gelangte nach Uelzen, wo Kosters Mutter lebte. Gaby Rückert nahm ihren medizinischen Beruf wieder auf und verrichte in einer Bad Bevensener Klinik ihren Dienst – ein Neuanfang mit fast 40, „mit einem Lächeln wie auf der Bühne“. Ihr Mann begann in einem Uelzener Baumarkt zu arbeiten, später dann in einem Musikaliengeschäft in Lüneburg. Eher zufällig kam das Duo 1993 ins Wendland, eben nach Zernien, „wo einer auf den anderen aufpasst“, denn Bodenständiges und Menschliches geht den beiden vor Glamour.

Bereits vorher erlebten die beiden einen segensreichen Zufall: Bei einer privatenSilberhochzeit gestaltetenRückert & Koster ein kleines musikalisches Programm.Die anwesenden Ärzte waren derart begeistert, dass man die beiden überredete, beim Stadtfest in Bad Bevensen aufzutreten. Aus dem einstigen Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, erwuchs neuer Lebenssinn. So nahmen sie 1992 das Album „Talisman“ auf, und Rückert etablierte sich als Textautorin. Komplett zurück ins Show-Biz ging es 1995. Mehrere Alben – unter anderem auf dem eigenen Label Coster Records – erschienen. Auskopplungen daraus hielten sich über Wochen in den frühen 2000-er Charts verschiedener Radiosender. Zahlreiche Auftritte folgten.

2005 begegneten sich Rückert und die Schriftstellerin und Lyrikerin Gisela Steineckert. Es kam zur Zusammenarbeit. Steineckert beschreibt Rückerts „magisches“ Werk mit: „Der Schlager war für ihr Talent zu eng, das zeigen auch ihre eigenen begabten Texte. Es hat uns zusammengeführt. Mich als Autorin mit der mädchenhaften erwachsenen Frau, die noch immer … staunt und sucht und erkennt, … und nun reif dafür ist, uns Erfahrungen mitzuteilen, die dem Publikum nicht fremd sind.“

Dieser einfachen Moral, mit ausdrucksstarken Texten über Alltägliches zu singen, bleiben Koster und Rückert, die 2014 ihren Zweitwohnsitz in Berlin aufgaben, bis heute treu. Wäre das Paar ein Restaurant, so gebe es bei ihnen wohl sehr gute deutsche Küche. Dies beweisen die beiden auch bei dem Pandemie-Projekt „Musik auf dem Balkon“, das digital im eigenen Zerniener Wintergarten produziert wird. Fast jeden Tag gestalten sie ein Video zu Songs aus Rückerts Diskografie oder covern Stücke anderer Künstler. Hunderte Titel sind so auf Rückerts Facebook-Seite erschienen. „Um Menschen in dieser Phase Halt zu geben, und um uns zu zeigen.“ Persönliche Auftritte wolle das Duo – trotz vorliegender Buchungsanfragen – frühestens Anfang kommenden Jahres vornehmen. Man bleibe kreativ, habe viele neue Ideen und Hunderte unveröffentlichte Titel inpetto. „Und wir haben Lust, weiterzumachen. Wir habenetwas zu sagen“, bekräftigen die „Künstler vom Räuberberg“, wie sie in Zerniengenannt werden – etwa mit einer Late-Night-Talkrunde, zu der sie lokale Gäste in ihr Studio einladen wollen.

Avatar-Foto

Redaktion Kiebitz 05841/127 420 seide@ejz.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert