Was bedeutet Mensch-sein?

Ausstellung: Aktmalerei im Oktogon in Hitzacker

bv Hitzacker. „Das sollte aussehen wie im Sommerpalais im Vatikan“, schmunzelt Ricarda Black Martin über ihr großformatiges, in pastelligen Tönen gehaltenes Aktgemälde, welches in der Kunsthalle Oktogon in Hitzacker gezeigt wird. „Dort herrscht die größte Dichte an gemalten Nackten überhaupt“, erläutert die Mitgründerin der Künstlerinnengruppe „rosa garage“. Die Künstlerinnen, bis zu zehn, treffen sich regelmäßig einmal die Woche, um gemeinsam zu zeichnen, zu malen, zu modellieren. Die Auseinandersetzung mit dem Akt bildet seit Jahren die künstlerische Basis der Gruppe. Sie nähern sie sich dem Akt auf akademisch-traditionelle Weise. Die Ergebnisse aber – Malerei, Plastik und Zeichnung – könnten unterschiedlicher nicht sein. „Posen von 90 Sekunden, 5 Minuten, 10 Minuten und einer halben Stunde thematisieren aus unserem Blickwinkel das Verletzliche des Körpers“, erläutert Tanja Zeps, Gründerin der rosa garage. Einen lebendigen Querschnitt ihres Schaffens zeigen die Künstlerinnen im Oktogon in Hitzacker, am Sonntag war Vernissage.

Barbara Rothamel ist eine der Künstlerinnen. Ihre Arbeiten abstrahieren die menschliche Form, reduzieren sie auf zarte Linien und monochrome Farbakzente. „Aktzeichnen ist für mich etwas Besonderes, weil ich mich in jedem Modell auch selbst spiegele. Ich frage mich jedesmal: Was ist das Bildwürdige an der Situation? Wie viel Farbe, wie viel Linie braucht es, damit der Mensch, auch das Individuum erkennbar wird? Und ich möchte einen Widerhall dieses speziellen Momentes erzeugen, den ich erlebt habe.“

Kerstin Rüter nähert sich den Akten mit einem kompromisslosen Realismus. Sie hat eine ganz besondere Biografie erlebt – sie musste ihren Beruf als Tierärztin aufgeben und hatte sich entschieden, Kunsthandwerk in Irland zu studieren. Sie zeigt faszinierende Studien, die versuchen, auch die Persönlichkeit der Modelle zu erfassen. Die Modelle sind übrigens meistens Frauen. „Männer sind schamhafter – und vielleicht auch eitler“, so der Versuch einer Erklärung.

Ricarda Black Martins großformatige, wuchtige Arbeiten stechen heraus. Sie arbeitet in vielen Bereichen, zeichnerisch, malerisch. Begonnen haben die Frauen 2005 in Neu Tramm, erinnert sich Black Martin. Ihr Nachname: Ein Künstlername, ein Pseudonym, steht für den Schornsteinsegler, ein amerikanischer Vogel, der für für die von der Stasi drangsalierte Frau Freiheit bedeutet.

Bettina Strauß lebt seit 2001 in Tobringen, ist „Urgestein der Gruppe“, wie sie betont. „Malen ist Sprache. Auch Farbe hat einen großen Einfluss auf meinen Ausdruck“, umreißt sie ihre Bildsprache, die in Collagen vielgestaltig, wild und bunt wirkt, malerisch aber eher abstrakt: „Diese Arbeiten folgen inneren Gesetzmäßigkeiten und lassen sich nicht von einem Gegenstand oder Motiv ablenken.“

Was bedeutet Mensch-sein? Das sei die Fragestellung, die alle beschäftige, erläutert Tanja Zeps. „Im Akt stehen wir den Menschen unverhüllt gegenüber. In unserem mitteleuropäischen Sommer müssen wir feststellen, dass der Mensch gegenüber der Klimakrise nahezu nackt dasteht.“ „Wir versuchen, die Begegnung mit dem Wesentlichen des Menschseins malerisch und plastisch zu erfassen. Die Linie, ob als Kontur oder Bewegungszeichen, und die Fläche, ob schattiert oder plan, sind dabei immer die malerischen und zeichnerischen Ausgangspunkte der Annäherung an die Figur. Das ist nichts Neues, sondern dicht an dem, was die Kunst seit Jahrhunderten kennt. Aber die gegenständlichen Werke sind Geschöpfe unserer Zeit und beim gemeinsamen Arbeiten ist Gesellschaft, Politik und Philosophie immer Thema. Wenn dann der Ausstellungsort ein ehemaliger Kirchenraum ist, greifen Körper- und Ausstellungsraum ineinander – das sakrale Licht durchdringt die Haut und verbindet Mensch und Lebensraum. Es fordert den Betrachter auf, in Andacht vor der Schöpfung zu verharren, unabhängig davon, ob gläubig oder atheistisch. Die Ausstellung ist bis zum 28. August sonnabends und sonntags zwischen 15 und 17 Uhr zu sehen.

Avatar-Foto

Redaktion Kiebitz 05841/127 422 vogt@ejz.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert